Die Worte des Gegenübers immer exakt umsetzend und der Bevölkerung einen Spiegel vorhaltend, seine Späße mit Obrigkeiten und dem einfach Volk treibend – so kennt man Till Eulenspiegel, der, bis heute gelesen, zu den Klassikern der Literatur zählt und ursprünglich von Hermann Bote, einem Braunschweiger Zollschreiber, um 1510 erdacht wurde. Er narrt Gelehrte und Bauern, tötet Tiere – etwa einige Hühner –[1] und stiftet Unruhe im beschaulichen Leben derer, die ihm begegnen. Dass der Narr sich dabei nicht immer so stubenrein verhielt wie in neueren Bearbeitungen, berichtet Georg Bollenbeck, denn der Till Eulenspiegel des 16. Jahrhunderts unterscheidet sich stark von dem heute bekannten Schelm:
Der ‚Originaleulenspiegel‘ der frühen Drucke des 16. Jahrhunderts ist ein fauler Gelegenheitsarbeiter von niedrigen Herkunft, ein Gauner und Zechpreller, ein Bauernfänger und Beutelschneider, der als Kind schon seinen eigenen Vater hintergeht, der als Sterbender noch die Mutter verspottet, den Priester erpreßt, Handwerksmeister betrügt und Kranke begaunert. Dazu ist er noch schmutzig, oder präziser: ihn charakterisiert eine Unbefangenheit gegenüber bestimmten körperlichen Funktionen, die mit dem Vorrücken der Scham- und Peinlichkeitsgefühle innerhalb des Zivilisationsprozesses verlorengeht.[2]
In anderen Worten: Eulenspiegel lässt seinen Körperfunktionen freien Lauf, kennt keinerlei Hemmungen oder Autoritätspersonen. Anstelle des schelmischen Narren diverser Neubearbeitungen teilt er Charakterzüge eines Kasperls oder Hans Wursts.[3] Und so wundert es auch nicht, dass Eulenspiegel bis weit ins 19. Jahrhundert hinein als Kolportageheft vertrieben wird: „Erst mit dem aufkommenden Interesse am Volksbuch durchläuft er einen langsamen [..] Bearbeitungsprozess, wird geglättet und für den Bürger angepasst […]. Das Volk zeigt sich von diesen Änderungen wenig begeistert, greift weiterhin zum Schundheft und ignoriert seichtere Fassungen (z. B. von August von Kotzebue).“[4]
Dem Ursprung des Kolportagehefts als Jahrmarktsartikel folgend, wird Till Eulenspiegel im 19. Jahrhundert auch als dreiteiliger Bilderbogen von Eduard Ille in den Münchener Bilderbogen vertrieben (Erster Bogen: Münchener Bilderbogen Nr. 575; Zweiter Bogen: Münchener Bilderbogen Nr. 576; Dritter Bogen: Münchener Bilderbogen Nr. 589),[5] bei denen, so Ruth Fassbind-Eigenheer eine ähnliche Problematik besteht, wie sie Georg Bollenbeck beschreibt. Man stand – ausgehend von Kirche, Staat und Volkspädagogen – unter Zensurdruck. Folglich wurde Eulenspiegel zurechtgestutzt: Subversivität und sittenwidriges Verhalten getilgt und Eulenspiegel wandelte sich vom Jedermann zum Narren, was man auch optisch durch Narrenkleider fixierte und sich im Vergleich zwischen Tolle Streiche Till Eulenspiegels (Neuruppiner Bilderbogen Nr. 1580) und dem Untersuchungsgegenstand verdeutlichen wird.[6] Aber auch ein weiterer Bilderbogen aus Neuruppin gibt Auskunft über inhaltliche Auslassungen: Der Neuruppiner Bilderbogen Nr. 7349 (Oehmigke & Riemschneider, um 1882) mit dem Titel Till Eulenspiegel
entspricht nur noch teilweise dem Inhalt der eigentlichen Vorlage. Gerade noch neun der zwanzig Bildfelder nehmen Bezug auf Historien, die bereits im Kurtzweilig Lesen von Dil Ulenspiegel enthalten sind […]. Die übrigen Episoden wurden dem Helden des Schwankbuchs entweder kurzerhand untergeschoben oder stammen aus späteren Eulenspiegelausgaben. In diesen Geschichten sucht man nun vergeblich nach Witz und Humor des Originals.[7]
Eine Zuordnung der verschiedenen Streiche zu den einzelnen Bogen findet sich in der nachfolgenden Tabelle.[8]
Analysetabellen anzeigen …Illustrierter Streich. | Neuruppiner Bilderbogen Nr. 1580, Oehmigke & Riemschneider: Tolle Streiche Till Eulenspiegels. |
Münchener Bilderbogen Nr. 575: Till Eulen-spiegel. Erster Bogen. |
Münchener Bilderbogen Nr. 576: Till Eulenspiegel. Zweiter Bogen. | Münchener Bilderbogen Nr. 589: Till Eulen-spiegel. Dritter Bogen., Nicht im Korpus. |
Seiltanz. Spielgefährte schneidet Seil durch. | ✓ | X | X | X |
Seiltanz. Till klaut Schuhe. | ✓ | ✓ | X | X |
Till narrt die Diebe eines Bienenkorbs. | ✓ | ✓ | X | X |
Till tötet Hühner. | ✓ (Hühner sterben nicht). | X | X | X |
Till entfernt Bret-ter aus einer Brücke; Nachtwächter fallen ins Wasser und Till muss ins Gefängnis. | ✓ | X | X | X |
Till backt Eulen und Meerkatzen. | ✓ | ✓ | X | X |
Till schüttet Mehl in den Hof. | ✓ | X | X | X |
Till folgt mit einem Blasebalg seinem Meister. | ✓ | X | X | X |
Till sägt Beine jener Tische an, auf denen die Schneider zu sitzen pflegen. Als der Hirte seine Schweine durch die Stadt treibt, fallen Tische und Schneider um. | ✓ | X | X | ✓ |
Till füllt von 3 Äpfeln einen mit Mücken und isst versehentlich selbst davon. | ✓ | X | X | X |
Till schneidet aus Leder Ochsen, Kälber und Schafe aus. | ✓ | X | X | X |
Till klebt einem Pferd einen Schwanz an um es zu verkaufen. Der Käufer prüft die Kraft des Pferdes und fällt hin. | ✓ | X | ✓ | X |
Till gibt vor, 12 Gulden an 12 blinde Bettler zu verteilen. Diese suchen nach dem nicht vorhandenen Geld. | ✓ | X | X | X |
Till gibt vor, Arzt zu sein. | ✓ | X | X | X |
Tills Sarg fällt und bleibt auf dem Kopfe stehen. | ✓ | X | X | X |
Till fällt als Säugling ins Was-ser. | X | ✓ | X | X |
Till sitzt auf dem Pferd seines Vaters und macht edlen Herren eine lange Nase. | X | ✓ | X | X |
Till macht aus den Pelzen eines Kürschners Wölfe. | X | ✓ | X | X |
Till arbeitet für einen Ritter und gibt vor, die Burg würde überfallen, um die Speisen seines Herrn zu stehlen. | X | X | ✓ | X |
Till bringt einem Esel scheinbar das Lesen bei. | X | X | ✓ | X |
Till bringt Milch-frauen dazu, sich gegenseitig zu schlagen. | X | X | ✓ | X |
Till täuscht den Wahnsinn einer Topffrau vor. | X | X | ✓ | X |
Till verkleidet eine Katze als Hasen und verkauft die-sen einem Pächter. | X | X | ✓ | X |
Till Eulenspiegel zerbricht ein Fen-ster, als er ein Haus durch dieses betritt. | X | X | X | ✓ |
Till soll sich „ins Zeug legen“ und kommt dieser An-weisung wortwört-lich nach. | X | X | X | ✓ |
Till promoviert zum Doktor. | X | X | X | ✓ |
Till narrt noch auf dem Totenbett sei-nen Arzt. | X | X | X | ✓ |
Till, angeblich in einer Truhe begra-ben, verschwindet spurlos. In seinem Sarg finden sich nur Steine. | X | X | X | ✓ |
Nur fünf Streiche wurden sowohl im Einzelbogen (Neuruppiner Bilderbogen Nr. 1580) als auch im Untersuchungsgegenstand abgebildet. Es handelt sich bei ihnen um Tills Tanz auf dem Seil (er klaut Schuhe), das Austricksen der Bienenkorbdiebe, Till als Eulen und Meerkatzenbäcker, Tills Bestrafung der Schneider, sowie das Ankleben eines Schwanzes an ein Pferd, um einen potentiellen Käufer zu täuschen. Dreizehn dieser Streiche (I, II, III, IV, V, VI, VII, IX, X, XII, XV, XVI, XVIII) illustrierte 1863 auch Johann Heinrich Ramberg;[9] Gegenstände wie Eulen und Meerkatzen, aber auch einige seiner Opfer sowie die Schneidergesellen und Schweine finden sich als Papiertheaterzubehör / Ausschneidbogen im Verlag J. F. Schreiber von 1912 (nicht im Korpus) wieder.[10] Besonders Eulenspiegels Seiltanz, bei dem er die Schuhe der Dörfler in die Menge fallen lässt, dient zudem oft als Titelillustration diverser Neuausgaben der Geschichte sowie der Oper von Richard Strauss.[11]
In den folgenden drei Tabellen wird die Eulenspiegelserie nach Text, Bild, Fokus, Bildmittelpunkt, Perspektive und Induktionsmethode untersucht.
Analysetabellen anzeigen …Münchener Bilderbogen Nr. 575: Till Eulenspiegel. Erster Bogen. | |
Panel 1 | Text (T): I. Till wird auf einer Brücke von seiner Amme fallengelassen und fällt ins Wasser. Er kann noch rechtzeitig gerettet werden.
Bild (B): Tills Amme sowie weitere Personen stehen auf einer Brücke. Die Amme hält ihre Hände in die Höhe, ihr Gesichtsausdruck ist panisch. Till, in Decken eingewickelt, fällt ins Wasser. Fokus (F): Till und Amme. Bildmittelpunkt (BM): Amme. Perspektive (P): Auf Augenhöhe.
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Indmeth. | Von Szene zu Szene. |
Panel 2 | T: II. Als Kind sitzt Till, wenn der Vater in die Stadt reitet, hinter seinem alten Herren und verhöhnt Passanten.
B: Tills Vater reitet auf einem Pferd, Till sitzt hinter ihm und macht zwei Herren des höheren Standes eine lange Nase. F: Till und Vater. BM: Pferd. P: Auf Augenhöhe. |
Indmeth. | Von Szene zu Szene. |
Panel 3 | T: III. Als Erwachsener überredet er einige Jungen dazu, ihre Schuhe über eine Schnur zu werfen und erzeugt auf diese Art Chaos.
B: Till, inzwischen erwachsen, liegt auf dem Seil eines Seiltänzers, an einer Schnur baumeln die Schuhe einiger Jungen; diese befinden sich in heller Aufregung und raufen miteinander. F: Till. BM: Ein herabfallender Schuh. P: Auf Augenhöhe. |
Indmeth. | Von Szene zu Szene. |
Panel 4 | T: IV. Till schläft in einem leeren Bienenkorb ein. Zwei Diebe stehlen ihn und es gelingt Till, die Diebe gegeneinander auszuspielen.
B: Es ist Nacht. Eine Eule fliegt im Hintergrund. Till sitzt in einem Bienenkorb, der von zwei Dieben getragen wird. Den vorderen Dieb schlägt er mit der Faust, den hinteren Dieb zieht er an der Nase. F: Till. BM: Bienenkorb. P: Auf Augenhöhe. |
Indmeth. | Von Szene zu Szene. |
Panel 5 | T: V. Till macht eine Ausbildung bei einem Kürschner und formt aus Pelzen Wölfe.
B: Till präsentiert seinem Meister die Wölfe. F: Till. BM: Leer. P: Auf Augenhöhe. |
Indmeth. | Von Szene zu Szene. |
Panel 6 | T: VI. Ein neuer Lehrmeister bittet Till, Eulen und Meerkatzen zu backen, eine Aufgabe, die der junge Schalk wortwörtlich umsetzt.
B: Till präsentiert seinem Meister eine Eule, auf einem Tisch neben dem Ofen des Bäckers stehen weitere Eulen und Meerkatzen. F: Till mit Eule in der Hand. BM: Till. P: Auf Augenhöhe. |
Münchener Bilderbogen Nr. 576: Till Eulenspiegel. Zweiter Bogen. |
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Panel 1 | Text (T): VII. Till bindet einen falschen Schweif an sein Pferd. Als es von einem potentiellen Käufer geprüft wird, fällt der Schweif ab und Till lässt sich für die Beschädigung seines Pferdes zwanzig Gulden zahlen.
Bild (B): Im Hintergrund sitzt eine rosa gekleidete, blonde Frau auf einem Schimmel mit rosa Sattel. Till sitzt auf einem Pferd, rechts von ihm geht ein weiterer Mann. Der potentielle Käufer fällt, während er den Schweif des Pferdes in der Hand hält. Fokus (F): Till. Bildmittelpunkt (BM): Pferd und Fuß des Käufers. Perspektive (P): Auf Augenhöhe. |
Indmeth. | Von Szene zu Szene. |
Panel 2 | T: VIII. Till wird als Wächter in einem Schloss eingestellt. Mittels einer List lockt er die Ritter aus dem Speisesaal und labt sich.
B: Till speist im Schloss, wo er von Rittern entdeckt wird. F: Weißer Ritter. BM: Till und weißer Ritter. P: Auf Augenhöhe. |
Indmeth. | Von Szene zu Szene. |
Panel 3 | T: IX. Till erzeugt die Illusion eines lesenden Esels.
B: Till, sowie drei Gelehrte, befinden sich in einem Stall und sehen einem Esel beim Lesen zu. Auf dem Boden sind zwei Ratten / Mäuse zu erkennen. F: Till. BM: Lesepult. P: Auf Augenhöhe. |
Indmeth. | Von Szene zu Szene. |
Panel 4 | T: X. Till bittet Milchfrauen, ihre Milch in sein Fass zu füllen. Als das Fass bis zum Rand gefüllt ist, bemängelt er die Ware und bittet die Frauen, ihre Milch aus dem Gefäß zu entfernen, was einen Tumult erzeugt.
B: Milchfrauen schlagen aufeinander ein, Till macht ihnen eine lange Nase und geht ab. F: Till und Milchfrauen. BM: Milchkanne. P: Auf Augenhöhe. |
Indmeth. | Von Szene zu Szene. |
Panel 5 | T: XI. Till verspricht einem Herren, mit einem Spruch eine Topffrau, die zuvor von ihm instruiert wurde, zu verhexen. Diese zerschlägt (scheinbar spontan) ihre Töpfe.
B: Die Topffrau schlägt auf ihre Töpfe ein, Till präsentiert sie einem Herrn. F: Till und Topffrau. BM: Leer. P: Auf Augenhöhe. |
Indmeth. | Von Szene zu Szene. |
Panel 6 | T: XII. Till verkauft einen Hasen, der sich jedoch nicht mit dem Hund des Käufers verträgt und auf einen Baum läuft. Dort sitzend miaut das Tier, denn es handelt sich um einen Kater, den der Schalk in einen Hasenpelz einnähte.
B: Ein falscher Hase klettert einen Baumstamm empor, zwei Hunde bellen ihn an. Till zeigt auf den Käufer des Hasen. F: Till. BM: Baum. P: Auf Augenhöhe. |
Münchener Bilderbogen Nr. 589: Till Eulenspiegel. Dritter Bogen. |
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Panel 1 | Text (T): XIII. Till soll einer Frau mitteilen, dass ihr Mann nicht zum Mittagessen erscheinen wird. Er sei durchs Fenster eingedrungen, da ihr Mann ihm auftrug: „Beim großen Fenster dort im Eckhaus geht hinein!“
Bild (B): Till steigt durch ein Fenster ein, dessen Scheibe zerbricht. Eine Topfpflanze fällt zu Boden, wo bereits eine Person liegt. Eine Frau, an ihrer Spindel sitzend, erschreckt sich. Fokus (F): Till & Frau. Bildmittelpunkt (BM): Leer. Perspektive (P): Auf Augenhöhe. |
Indmeth. | Von Szene zu Szene. |
Panel 2 | T: XIV. Tills Meister weißt ihn an, sich ins Zeug zu legen. Till kommt dieser Anweisung nach.
B: Till liegt zwischen Pelzen, der Meister wirkt erbost, einer seiner Mitarbeiter breitet fragend die Arme aus. F: Meister. BM: Till, Meister und Mitarbeiter. P: Auf Augenhöhe. |
Indmeth. | Von Szene zu Szene. |
Panel 3 | T: IX. Till wird von Schneidergesellen verspottet und sägt heimlich jenes Tischbrett an, auf dem sie zu nähen pflegen. Als eine Schweineherde durch das Dorf getrieben wird, bricht der Tisch mit den Schneidern zusammen.
B: Tische, Schweine, Bauern und Schneidergesellen bilden ein wirres Durcheinander. F: Die Masse aus Tischen, Schweinen, Bauern und Schneidergesellen. BM: Einer der stürzenden Gesellen. P: Auf Augenhöhe. |
Indmeth. | Von Szene zu Szene. |
Panel 4 | T: XVI. Till promoviert. Er soll den Mittelpunkt der Welt bestimmen, kommt dieser Bitte nach und entfacht einen philosophischen Diskurs, der ihm den Doktortitel einbringt.
B: Till steht vor dem Rektor der Universität sowie anderer Gelehrter und promoviert. F: Ein Rednerpult. BM: Ein Rednerpult. P: Auf Augenhöhe. |
Indmeth. | Von Szene zu Szene. |
Panel 5 | T: XVII. Till, dem Tode nahe, verspricht seinem Arzt einen Beutel voll Gold und Silber. Als dieser in den Beutel blickt, blinkt nur ein Rechenpfenning hervor – der Rest ist voller Schusterpech.
B: Till liegt im Sterben und macht seinem Arzt eine lange Nase. F: Till. BM: Tills Bett. P: Auf Augenhöhe. |
Indmeth. | Von Szene zu Szene. |
Panel 6 | T: XVIII. Noch im Tode treibt Till seine Späße: Seine letzte Ruhe findet er in einer Truhe. Als diese geöffnet wird, finden seine Verwandten nur Steine vor – Till bleibt verschwunden.
B: Tills Verwandtschaft öffnet die Grabeskiste, in der sich nur Steine befinden. Sie ist mit einer Eule verziert. Über ihr hängt ein Portrait Tills, der in einer Hand eine Eule und in der anderen einen Spiegel hält. F: Portrait. BM: Erstaunter Verwandter über der Kiste. P: Auf Augenhöhe. |
Alle drei Bogen der Serie illustrieren Szenen aus dem Leben Till Eulenspiegels. Panelgruppen lassen sich nicht bestimmen, an Narrationsgruppen finden sich vier: Eulenspiegels Kindheit (Gruppe 1: Bogen 1, Panel I bis II), Eulenspiegels Leben als jugendlicher Narr (Gruppe 2: Bogen 1 bis 3, Panel III bis XV), sein Leben als Erwachsener (Gruppe 3: Bogen 3, Panel XVI) sowie Eulenspiegels Ableben und Beerdigung (Gruppe 4: Bogen 3, Panel XVII bis XVIII). Gruppe 3 wird dabei von Gruppe 2 separiert, denn zuvor wird er als junger Schalk dargestellt, der Menschen narrt. In Gruppe 3 hingegen gelingt es ihm als optisch deutlich älterem Menschen Professoren dazu zu bewegen, ihm einen Doktortitel zuzusprechen. Gruppe 4 präsentiert Eulenspiegel auf dem Totenbett und seinen finalen Streich (die Kiste, in der seine Familie ihn bestattet glaubt, wurde lediglich mit Steinen befüllt).
Insgesamt achtzehn Panels (jeweils sechs Bilder pro Bogen) umrahmen sich selbst, d. h. sie werden nicht von einer schwarzen Linie begrenzt (Strukturtyp S 3, Abweichung 6). Besondere Aufmerksamkeit verdienen drei Verzierung des Bogens, die sich zwischen den Panelreihen – die, wie auch das Kasperl-Theater von oben nach unten sowie am Ende einer Panelreihe von links nach rechts rezipiert werden und somit der westlichen Leserichtung folgt, zudem mit römischen Ziffern versehen die exakte Leserichtung vorgeben – stehen. Sie gleichen einander, lediglich die Farbgebung variiert an einigen Stellen (der dritte Bogen liegt zudem nur in nicht kolorierter Fassung vor).
Diese Verzierung unter-liegt einer Dreiteilung. Der obere Bereich zeigt eine Pflanze, auf der die rote Narrenkappe Till Eulen-spiegels steckt. Über ihr befinden sich ein rotbraunes Eichhörnchen (rechts) sowie ein weißer Hase; auf der Spitze der Pflanze sitzt ein Vogel mit ausgebreiteten Flügeln. Der zweite Teil zeigt ein Geflecht zur Separation, dessen Abbildung keine symbolische Bedeutung zukommt. Der dritte Teil hingegen setzt den Namen Eulenspiegel symbolisch um. Erneut sieht man eine Pflanze, die in einen Spiegel übergeht. Auf ihm hockt eine Eule. Am unteren Ende der Pflanze sind eine Maus (rechts) und ein lurchähnliches Wesen (links) zu erkennen. Eine Fledermaus mit ausgebreiteten Flügeln beschließt die Abbildung.
Es darf davon ausgegangen werden, dass beide Teile den Tag (oberer Bereich) und die Nacht (unterer Bereich) darstellen und die Verzierung den Namen bzw. die Eigenschaften Eulenspiegels symbolisiert, denn die Eule gilt in der Antike als nachdenkliches Wesen, das mit Weisheit gesegnet
die Dunkelheit durchdringt […]. Im christlichen Bild- und Textgebrauch ist die Eule als Nachttier, das das Licht nicht ertragen kann, oft zum Bild für geistige Finsternis und Abkehr von Licht und Wahrheit und damit auch zum Symbol für das Judentum geworden. […] In der Profanikonographie ist sie vor allem der Personifikation der Nacht zugeordnet […]. Sie kann als lichtscheues Nachttiert aber auch, vor allem in der holländischen Genremalerei der Barockzeit, Dummheit und Unwissenheit symbolisieren.[12]
Der Spiegel gilt indes „als Symbol der Erkenntnis, der Klarheit und der Wahrheit, aber auch der Eitelkeit und der Vergänglichkeit alles Irdischen.“[13] Ein Zusammentreffen beider Elemente, wie hier dargestellt, kombiniert demnach das Zusammentreffen von Dummheit und Weisheit, dem Durchdringen der Dunkelheit mit Wahrheit, wie sie allen Streichen Eulenspiegels anheimfällt. Narren – repräsentiert durch die Narrenkappe – „durften straflos die Wahrheit sagen, solange sie scherzhaft eingekleidet war. […] Groteske Narrenkleidung war im Mittelalter aber auch ein Kennzeichen für Geisteskranke.“[14] Eulenspiegels Ikonographie befindet sich demnach im Spannungsfeld zwischen Weisheit und Wahn, Geisteskrankheit und klarer Sicht auf die Dinge.[15] Eichhörnchen, Hase und Vogel, sowie Maus, Lurch und Fledermaus hingegen stehen hier als Verkörperung von Tag bzw. Nacht, denn sie sind tag- bzw. nachtaktive Tiere. Friedrich Thöne und Thomas Poensgen vom RDK Labor, der digitalisierten Fassung des Reallexikons zur Deutschen Kunstgeschichte, weisen zudem auf eine Ähnlichkeit eulenspiegelspezifischer Personendarstellungen hin:
Die meisten Ausg. des 16. Jahrhunders sind nach dem gleichen Schema mit Holzschnitten ausgestattet: sie besitzen eine Darstellung auf dem Titelblatt, entweder E. zu Pferde, in der einen Hand eine Eule, in der anderen einen Spiegel haltend [.], oder die Illustration zu einer am Anfang des Buches erzählten Historie […]. Den Schluß des Buches bildet die Wiedergabe von E. Grabstein [.] mit einer Eule, die auf dem Rand eines Spiegels sitzt […].[16]
Die Symbolik der Eule und des Spiegels orientiert sich folglich an Darstellungen, die auf das 16. Jahrhundert zurückgehen. Weiterhin wurde Eulenspiegel fast immer in mehreren Bildern abgebildet. Thöne und Poensgen zählen den Bilderbogen i. Ü. zu den Buchillustrationen.[17]
Einzig verwendete Induktionsmethode der drei Bogen ist Von Szene zu Szene. Ähnlich wie in den zuvor analysierten Münchhausen Bogen Die Abenteuer des Freiherrn von Münchhausen und Münchhausens’s Fahrten u. Abenteuer kann die Eulenspiegel-Reihe weitestgehend einer freien Rezeptionsmöglichkeit, (mit Ausnahme der Panels I, II, XVI, XVII sowie XVIII. Jedoch wurde jedes Panel mit einer römischen Ziffer versehen, um die Rezeptionsfolge einem vorgelegten Ablauf unterzuordnen. Da alle drei Bogen mit fortlaufenden Ziffern versehen sind (Erster Bogen: I – VI; Zweiter Bogen: VII – XII; Dritter Bogen: XIII – XVIII) und zwei der drei Bogen 1872 direkt aufeinander folgen (Erster Bogen: Nr. 575, Zweiter Bogen: Nr. 576), darf von einer geplanten Reihe ausgegangen werden. Der selten reproduzierte dritte Bogen mit der Nummer 589 erscheint ein Jahr später (1873), was für die Beliebtheit der Serie spricht.[18]
Das Text-Bild-Verhältnis entspricht einem überschnittenem, d. h. ein Teil der Informationen wird vom Text, ein Teil vom Bild übermittelt, wobei das Bild nie den textlichen Informationsgehalt übersteigt, die Struktur des Bogens entspricht S 3, Abweichung 6. Auf der McCloud-Realismusskala belegen die Bogen den Bereich 60 bis 64 sowie 79 bis 84.
Die Till-Eulenspiegel-Reihe der Münchener Bilderbogen entspricht der Serialitätskategorien Panelstruktur- und Musikbogen a), Mehrere Panelstrukturbogen erzählen eine Geschichte. Werden weitere Bogen wie die Neuruppiner Bilderbogen einbezogen, trifft auch die Kategorie d), Mehrere Panelstrukturbogen oder Musikbogen verwenden identische Protagonisten in verschiedenen Abenteuern (unabhängig von Verlag und Zeichner), Es handelt sich bei der Figur des Till Eulenspiegels ferner um einen Bilderbogenprotagonisten, der immer wieder in Erscheinung tritt. Ein bekannte Geschichte bzw. ein bekanntes Grundmuster wird neu erzählt, wenn sich die Streiche auch manchmal unterscheiden (Wiederaufbereitung, eingeschränkt auch Wiederaufnahme).
Belege:
[1] Auf ähnliche Art tun es ihm Buschs Max und Moritz gleich (vgl. hierzu: Busch, Wilhelm: Max und Moritz. Eine Bubengeschichte von Wilhelm Busch. Zürich 1977. S. 10 – 16.) und auch der Freiherr von Münchhausen verwendet eine ähnliche Vorrichtung, um sich mit aneinander geketteten Enten in die Lüfte zu erheben (vgl. hierzu: Bürger, Gottfried August: Wunderbare Reisen zu Wasser und Lande, Feldzüge und lustige Abenteuer des Freiherrn von Münchhausen. S. 15 – 16.). Folglich findet sich das Motiv mehrfach in der Volksliteratur wieder – es handelt sich evtl. sogar um einen Intertextuellen Dialog.
[2] Bollenbeck, Georg: Nachwort. In: Johann Heinrich Ramberg. Tyll Eulenspiegel. In 55. Radierungen. Text nach der Jahrmarkts-Ausgabe. Mit einem Nachwort von Georg Bollenbeck. Dortmund 1980. S. 145,
[3] Vgl. hierzu: Kasperl-Theater. Erstes. – Sechstes Stück.
[4] Auringer, Julian: Anonymus. Tyll Eulenspiegel, Jahrmarktsausgabe (1824). In: Literatur – Bilder. Johann Heinrich Ramberg als Buchillustrator der Goethezeit. Hrsg. von Alexander Košenina. Hannover 2013. S. 115.
[5] Vgl. Objektkatalog des Germanischen Nationalmuseums, Inventarnummer H4170. Ille, Eduard: Till Eulenspiegel. Dritter Bogen. Münchener Bilderbogen Nr. 5849. https://www.bildindex.de/document/obj00110324/?medium=mi08049d11 [konsultiert am 02.08.2015]. Und: Ille, Eduard: Till Eulenspiegel. Dritter Bogen. Münchener Bilderbogen Nr. 589. http://objektkatalog.gnm.de/objekt/H4170 [konsultiert am 02.08.2018].
[6] Vgl. Fassbind-Eigenheer, Ruth: Eulenspiegeleien auf Bilderbogen. In: Eulenspiegel – Jahrbuch 1992. Hrsg. vom Freundeskreis Till Eulenspiegels e. V. Konstanz 1993. S. 78 – 81.
[7] Ebd. S. 83.
[8] Eine Auflistung weiterer Eulenspiegelbogen – auch aus der Zeit vor dem 19. Jahrhundert – findet sich bei Fassbind-Eigenheer, Ruth: Eulenspiegeleien auf Bilderbogen. In: Eulenspiegel – Jahrbuch 1992. Hrsg. vom Freundeskreis Till Eulenspiegels e. V. Konstanz 1993. S. 65 – 98.).
[9] Vgl. Ramberg, Johann Heinrich: Tyll Eulenspiegel.
[10] Vgl. Spielzeugmuseum Nürnberg: Forell, Robert u. Adolf Forell: Till Eulenspiegel. http://www.vino-online.net/frames.php?PHPSESSID=lbpgu752mh9dljjcook8mp6jg1&module=inv&DBApp=spnb&application=spnb_detail&role=Recherche&PHPSESSID=lbpgu752mh9dljjcook8mp6jg1&Ident=INV_INVNR&Value=GS13.1563 [konsultiert am 02.08.2018].
[11] So z. B. in folgenden Ausgaben:
- Janisch, Heinz u. Lisbeth Zwerger: Till Eulenspiegel. Richtenberg 2016.
- Ammerer, Karin: Till Eulenspiegel. Wien 2015 (=Lesezug Klassiker).
- Roth, Franz-Xavier u. Strauss, Richard: Till Eulenspiegels lustige Streiche. Erzählt von Heidrun Wermuth. Esslingen 2016 (= SWR Young Classix).
- Uebe, Ingrid: Till Eulenspiegel. Ravensburg 2013 (=Leserabe. Sagen für Erstleser).
- Bartos-Höppner, Barbara: Till Eulenspiegel. In neuer Rechtschreibung. Würzburg 1998.
[12] Vgl. Kretschmer, Hildegard: Lexikon der Symbole und Attribute in der Kunst. Mit 32 Abbildungen. Stuttgart 2016. S. 113.
[13] Vgl. ebd. S. 396.
[14] Vgl. ebd. S. 296.
[15] Im Tarot de Marseille kommt dem Narren folgende Bedeutung zu: Er symbolisiert den Anfang der Dinge, steht außerhalb des Gradsystems, das er erst noch durchwandern muss, ehe er zur Weisheit findet. Er symbolisiert die Freiheit, was sich auch dadurch kennzeichnet, dass er – im Gegensatz zu den anderen Karten – keine Nummer besitzt. „In den traditionellen Kartenspielen hat er Figuren wie den Joker hervorgebracht, die ganz nach Wunsch für alle anderen Karten eingesetzt werden können, ohne sich mit irgendeiner davon zu identifizieren.“ (Jodorowsky, Alejandro und Marianne Costa: Der Weg des Tarot. S. 91 u. S. 137).
[16] Thöne, Friedrich u. Thomas Poensgen: Eulenspiegel. http://www.rdklabor.de/wiki/Eulenspiegel [konsultiert am 12.03.2018].
[17] Vgl. ebd.
[18] Datierung vorgenommen nach: Objektkatalog der Sammlung des Germanischen Nationalmuseums. Objekte H4156, H4157, H4170 sowie den Angaben des Spielzeugmuseums der Stadt Nürnberg. Inventarnummer GS13.1997, GS13.1996 und GS13.1995. Angaben nach https://www.bildindex.de/ und https://www.europeana.eu/portal/de [beide konsultiert am 13.03.2018].