- Neuruppin, bei Oehmigke & Riemschneider Nr. 8656: Hansel und Grethel
- Neuruppin, zu haben bei Gustav Kühn Nr. 1136: Lehrreiche Geschichte von Martin und Ilse oder das Pfefferkuchenhäuschen
- Deutsche Bilderbogen für Jung und Alt Nr. 53: Hänsel und Grethel (nach Grimm). Gezeichnet von Theodor Hosemann.
Aus der Not heraus und von seiner niederträchtigen Gemahlin gedrängt, beschließt ein Vater schweren Herzens, seinen Sohn Hänsel und seine Tochter Grethel im Wald auszusetzen. Zunächst gelingt den Kindern dank einer List die Rückkehr zum Elternhaus, doch als man sie erneut aussetzt, irren die Geschwister umher. Ein Pfefferkuchenhaus, das sie auf ihrem Weg entdecken, scheint sie aus ihrer Not zu erlösen, doch die Besitzerin entpuppt sich als bösartige Hexe. Sie nimmt die Kinder gefangen, will Hänsel mästen, schlachten und verspeisen. In letzter Sekunde gelingt es Grethel, die alte Frau zu töten. Man raubt ihre Schätze, kehrt nach Hause zurück und lebt glücklich dahin, denn die Mutter verstarb während ihrer Abwesenheit.
Wie auch Schneewittchen, Rotkäppchen oder Aschenputtel gehört Hänsel und Gretel zu den bekanntesten Märchen der Literaturgeschichte. Es enthält zahlreiche Motive, die unter anderem bereits in Giambattista Basiles ‚Pentamerone‘ von 1636 in ‚Nennillo e Nennella‘ vorgeformt waren. Nach den Brüdern Grimm bearbeitete das Thema in Deutschland auch Franz Graf Pocci im Jahre 1838 und zeichnete selbst Illustrationen dazu, ebenso publizierte Friedrich Wilhelm Gubitz das Märchen als ‚Die Kinder im Wald‘ mit eigenen Holzschnittillustrationen; auch Ludwig Bechstein nahm das Thema in leicht veränderter Form in sein ‚Deutsches Märchenbuch‘ von 1845 auf.[1]
Ob der Bekanntheit des Märchens verwundert es deshalb nicht, dass sich im Korpus drei Hänsel-und-Grethel-Bogen finden:
- Hansel und Grethel.: Neuruppin, bei Oehmigke & Riemschneider. Nr. 8656, o. D.
- Lehrreiche Geschichte von Martin und Ilse, oder das Pfefferkuchenhäuschen.: Neuruppin, zu haben bei Gustav Kühn. Nr. 1136, 1835/40.[2]
- Hansel und Grethel (nach Grimm). Gezeichnet von Th. Hosemann.: Deutsche Bilderbogen für Jung und Alt. 53., 1879.
Darüber hinaus existieren weitere Bearbeitungen, die hier aber nicht untersucht werden sollen.[3]
Auf textlicher Ebene lassen sich drei verschiedene Varianten des Märchens bestimmen. Hansel und Grethel (Neuruppin, bei Oehmigke & Riemschneider Nr. 8656) berichtet von armen, jedoch braven Eltern, deren Kinder im Wald Beeren sammeln und sich beim Versuch, ihre Eltern zu unterstützen, verirren. Das Haus der Hexe besteht aus Pfefferkuchen, Türen und Fenster aus Marzipan. Hansel wird von der Hexe in den hauseigenen Stall gesperrt, Grethel soll ihn füttern damit der Junge geschlachtet werden kann. Dieser verweigert indes die Nahrungsaufnahme und wird in Folge immer dünner, was die Hexe dazu verleitet, das Mädchen vorzuziehen. Das Vorhaben misslingt und Grethel stößt ihre Peinigerin in den Ofen, wo sie „elend“[4] verbrennt. Nach der Befreieung des Bruders findet man im Haus Reichtümer von denen der Vater ein Gut kauft auf dem man glücklich dahinlebt.[5]
Die Lehrreiche Geschichte von Martin und Ilse, oder das Pfefferkuchenhäuschen. (Neuruppiner Bilderbogen. Gustav Kühn Nr. 1136) weist einige Unterschiede auf. Die Kinder leben ebenfalls bei armen Eltern, helfen jedoch nicht freiwillig und müssen Beeren sammeln. Auch Martin und Ilse verirren sich und gelangen an ein Pfefferkuchenhaus, dessen Fenster aus Zuckerkant bestehen. Der Neuruppiner Bilderbogen benennt die Eigentümerin des seltsamen Hauses als „altes, verschrumpftes Mütterchen“ (Panel 4) bzw. „böses Weib, [das] [..] Kinder auffraß“ (Panel 6). Martin wird ebenfalls in einen Stall gesperrt, und magert vor Gram ab. Nun soll Ilse den Tod finden. Die Umstände des Todes der Hexe werden etwas umständlich beschrieben: „[Die Alte] heizt den Back=ofen, um Ilsen hinein zu schieben. // Diese stellt sich aber dumm an und sagt, die Alte möchte es ihr nur erst vormachen. Diese setzt sich nun auf den Schieber, Ilse schiebt sie hinein und sie muß umkommen.“ (Panel 8 – 9). Nach dem Verscheiden der alten Frau danken die Kinder Gott, finden einen Schatz, von dem die Eltern ein Haus kaufen.[6]
Hänsel und Grethel (nach Grimm). (Deutsche Bilderbogen für Jung und Alt. 53) orientiert sich, wie der Titel bereits andeutet, exakter an der Vorlage aus den Kinder- und Hausmärchen. Auch in dieser Version handelt es sich um einen armen Vater, der aufgrund einer Teuerung noch ärmer wird. Seine Frau drängt ihn, die Kinder im Wald zurückzulassen. Diese hören von dem bösartigen Plan und Hänsel stopft sich die Taschen voller Kiesel mit denen er den Weg zum Elternhaus finden wird. Erneut ausgesetzt misslingt der Rettungsversuch, da man nur eine Spur mit Brotkrumen legen konnte, die von den Vögeln des Waldes verspeist wurde. Die Kinder irren zwei Tage umher und folgen schließlich einem weißen Vogel, der sie zu einem Haus aus Brot mit einem Dach aus Kuchen führt und dessen Fenster aus Zucker bestehen. Eine steinalte Hexe sperrt Hänsel in einen Stall, plant die Kinder zu töten, zu kochen und zu verzehren. Mittels einer List gelingt es Grethel, die böse Frau zu verbrennen, man findet einen Schatz und eine weiße Ente bringt die Kinder in Sicherheit. Wieder beim Vater angekommen, erfährt man vom Tod der Mutter und lebt fortan ohne Not.[7]
Hansel und Grethel. (Neuruppiner Bilderbogen, Oehmigke & Riemschneider Nr. 8656) sowie Leerreiche Geschichte von Martin und Ilse, oder das Pfefferkuchenhäuschen (Neuruppiner Bilderbogen, Gustav Kühn, Nr. 1136) verändern den Grimm’schen Text enorm und kürzen ihn auf wenige Momente zurecht. Die bereits genannten Abweichungen – etwa die Abwesenheit der niederträchtigen Mutter und das zufällige Verirren im Wald – mildern den brutalen Kern des Märchens ab, verschieben die Bedrohung durch die eigenen Eltern einzig auf die Hexe im Wald.[8] Zudem unterscheidet sich auch die Form des Hexenhauses: Der Neuruppiner Bilderbogen, Oehmigke & Riemschneider Nr. 8656 spricht von einem Pfefferkuchenhaus mit Fenstern und Türen aus Marzipan, der Neuruppiner Bilderbogen, Gustav Kühn, Nr. 1136 von einem Pfefferkuchenhaus mit Fenstern aus Zuckerkant. Einzig der Deutsche Bilderbogen für Jung und Alt., Nr. 53, Hänsel und Grethel (nach Grimm)., erzählt von einem Haus aus Brot, dessen Dach mit Kuchen gedeckt wurde. Jene letzte Fassung orientiert sich an Grimms Ausgabe letzter Hand (1857). Eine genaue Beschreibung des Hexenwesen („Wenn eins in ihre Gewalt kam, so machte sie es tot, kochte es und aß es, und das war ihr Festtag. Die Hexen haben rote Augen und können nicht weit sehen, aber sie haben eine feine Witterung, wie die Tiere, und merken’s, wenn Menschen herankommen.“[9]) fehlt.
Die folgende Tabelle vergleicht die drei relevanten Bilderbogen miteinander; der Text von Hänsel und Grethel (nach Grimm)., Deutsche Bilderbogen für Jung und Alt. Nr. 53, wird ob seiner Länge zusammengefasst.
Analysetabelle anzeigen …Neuruppiner Bogen Nr. 8656, Oehmigke & Riemschneider: Hansel und Grethel. |
Neuruppiner Bogen Nr. 1136, Gustav Kühn: Lehrreiche Geschichte von Martin und Ilse oder das Pfefferkuchenhäuschen, zu haben bei Gustav Kühn. | Deutsche Bilderbogen Nr. 53: Hansel und Grethel (nach Grimm). Gezeichnet von Th. Hosemann. | |
Panel 1 | Text (T): „Hansel und Grethel waren die Kinder armer, braver Leute, die sich ihr Brod sauer verdienten.“
Bild (B): Hansel und Grethel werden bis zu den Hüften abgebildet. Sie halten sich an der Hand, und umarmen sich dabei. Hansel trägt eine blaue Jacke, ein gelbes Hemd mit weißem Rüschenkragen und eine beige Hose. Grethel kleidet sich mit einem gelben Kopftuch und einem weiß-roten Kleid mit gelben Details. Fokus (F): Hansel und Grethel. Bildmittelpunkt (BM): Hansel und Grethel. Perspektive (P): Augenhöhe. |
(T): „Martin und Ilse waren Bruder und Schwester, hatten aber sehr arme Eltern und mußten um im Walde Erdbeeren zum Verkauf suchen.“
(B): Martin trägt eine blaue Hose mit roten Hosenträgern und ein weißes Hemd. Ilse eine rotes Kleid mit weißen Überrock; ihre Haare sind zu einem Zopf verflochten. Sie führen einen Korb mit sich. Die Kinder suchen im Wald nach Erdbeeren. (F): Ilse. (BM): Ilses Rock. (P): Augenhöhe. |
(T): Ein armer Holzhacker wohnt vor einem Wald. Eines Tages erzählt er seiner Frau, dass er, bedingt durch eine Teuerung, nicht mehr weiß, wie er die Familie ernähren soll. Seine Frau rät ihm die Kinder im Wald auszusetzen, doch er weigert sich vorerst. Da er aber schwach ist, gibt er dem stetig Drängen seiner Frau nach.
Hänsel und Grethel hören, was ihre Eltern planen. Hänsel geht nach draußen und stopft sich die Taschen voller Kieselsteine, um den Weg in den Wald zu markieren.
(B): Vater, Mutter und die Geschwister gehen im Wald spazieren. Der Vater trägt einen Hut, eine Weste, darunter ein Hemd, eine Hose und Stiefel. Sein Gesicht ist von einem Backenbart umrahmt, in der Hand hält er eine Spitzhacke, sowie seine Jacke. Die Mutter trägt ein Kopftuch, ein Kleid, einen Überrock und geht Barfuß. Auf ihrem Rücken befindet sich ein Korb. Sie hält eine Harke in der linken Hand. Grethel geht – wie auch Hänsel und die Mutter – ebenfalls Barfuß, sie trägt ein Kopftuch sowie ähnliche Kleidungsstücke wie ihre Mutter. Hänsel steht etwas weiter hinter seiner Familie. Er trägt eine Weste, ein Hemd sowie kurze Hosen. Eine Hand befindet sich in seiner Westentasche, die andere lässt Kieselsteine fallen. (F): Familie. (BM): Mutter. (P): Augenhöhe. |
Indmeth. | Von Szene zu Szene. | Von Gegenstand zu Gegenstand. | Von Gegenstand zu Gegenstand. |
Panel 2 | (T): „Sie sammelten im Walde Beeren, um durch deren Verkauf die Eltern zu unterstützen.“
(B): Hansel und Grethel sammeln Beeren im Wald. (F): Hansel und Grethel. (BM): Hansels beerenpflückender Arm. (P): Augenhöhe. |
(T): „Eines Tages verirrten sie sich im Walde und kamen gegen Abend zu einem Häuschen, welches von Pfeffer=kuchen gebacken war, und Fenster von Zuckerkant hatte.“
(B): Martin und Ilse stehen vor einem Haus (nicht dem Pfefferkuchenhaus). (F): Ilse. (BM): Ilses linker Arm (trägt den Erdbeerkorb). (P): Augenhöhe. |
(T): Im Wald angekommen, müssen die Kinder Holz suchen; der Vater entzündet ein Feuer. Man verköstigt die Kinder mit Brot und sie halten einen Mittagsschlaf, während die Eltern heimlich nach Hause zurückkehren.
Mitten in der Nacht erwachen Hänsel und Grethel und finden mit Hilfe der Kieselsteine, die das Mondlicht reflektieren, den Weg zurück nach Hause.
(B): Hänsel und Grethel sitzen an einem Feuer und essen Brot. (F): Hänsel und Grethel. (BM): Hänsel. (P): Augenhöhe. |
Indmeth. | Von Szene zu Szene. | Von Szene zu Szene. | Von Gegenstand zu Gegenstand. |
Panel 3 | (T): „Eines Tages achteten sie in ihrem Eifer nicht des Weges und verirrten sich.“
(B): Hansel und Gretel stehen im Wald, Hansel hält einen Stock in der linken Hand, Grethel trägt einen Korb und tupft sich mit einem weißen Tuch das linke Auge ab; es wird angedeutet, das sie weint. (F): Grethel. (BM): Hansel und Grethel. (P): Augenhöhe. |
(T): „Als sie sich darüber hermachten und Stückchen vom Hause abbrechen und aufessen, rief eine Stimme. ‚Knusper, Knusper Kneischen, Was knuspert an meinem Häuschen?‘“
(B): Im Hintergrund steht nun das Pfefferkuchenhaus. Martin trägt den Korb und hält ein Stück Pfefferkuchen in der linken Hand. Ilse sitzt auf einem Stein, in der linken Hand ebenfalls ein Stück Pfefferkuchen haltend. (F): Pfefferkuchen in Martins Hand. (BM): Wald. (P): Augenhöhe. |
(T): Wieder im Hause des Vaters angekommen, schimpft die Mutter mit ihren Kindern, denn sie hätten viel zu lange geschlafen. Sie überredet den Vater sogleich, die Kinder erneut in den Wald zu führen. Wieder hören Hänsel und Grethel, was ihre Eltern planen, diesmal ist der Weg nach draußen versperrt und Hänsel kann keine Kieselsteine sammeln.
Am nächsten Tag werden sie wieder in den Wald geführt, der Junge legt eine Spur aus Brotkrumen, die aber von Vögeln gefressen werden.
(B): Hänsel und Grethel stehen an der Tür ihres Elternhauses, die Mutter droht mit erhobenem Zeigefinger aus, der Vater steht mit Schlafmütze, freudigem Blick und gefalteten Händen neben der Mutter. (F): Mutter. (BM): Hänsel und Grethel. (P): Augenhöhe. |
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Panel 4 | (T): „Nachdem die Geschwister mehrere Stunden herumgeirrt, setzten sie sich ermattet nieder und schliefen ein.“
(B): Hansel schläft, sein Oberkörper liegt auf einer Baumwurzel. Grethel liegt ebenfalls, stützt sich jedoch mit der linken Hand ab. (F): Grethel. (BM): Baum. (P): Augenhöhe. |
(T): „Vor Schreck wollten die Kinder davonlaufen, da tritt ein altes, verschrumpftes Mütterchen heraus und sagt: „Kommt herein; ihr sollt’s gut bei mir haben.“
(B): Martin und Ilse sind im Begriff, wegzulaufen. Der Korb liegt am Boden. Eine auf einen Stock gestützte Hexe mit weißem Überrock roter Jacke, blauem Rock und weißer Haube ruft nach ihnen. (F): Ilse. (BM): Ilse. (P): Augenhöhe. |
(T): Die Kinder irren zwei Tage umher, ehe sie ein Haus aus Brot mit einem Kuchendach erreichen und anfangen, davon zu essen.
Die Eigentümerin, eine alte Frau, ruft: „Kunsper, Knusper, Kneischen, wer knuspert an meinem Häuschen?“ und die Kinder antworten: „Der Wind, der Wind, das himmlische Kind, [sic!]“ Sie werden von der alten Frau heineingebeten.
(B): Das Hexenhaus. Es ist kaum größer als die Kinder selbst und steht mitten im Wald. Ein Baum ist bereits mit einer Bank verwachsen, die neben dem Hexenhaus steht. Verzierungen schmücken den Eingang des Hauses, auf dem Dach thront ein Hahn. Die Hexe, gestützt auf einer Krücke schaut zur Tür hinaus. Sie trägt ein Kopftuch, weist eine knollenartige Nase auf und trägt zerlumpte Kleidung. (F): Hexe. (BM): Hexenhaus. (P): Augenhöhe. |
Indmeth. | Von Gegenstand zu Gegenstand. | Von Gegenstand zu Gegenstand. | Von Gegenstand zu Gegenstand. |
Panel 5 | (T): „Als sie erwachten, war es Tag ge=worden; da kein Weg zu finden war, gingen sie immer geradeaus.“
(B): Hansel und Grethel stehen erneut im Wald, ihre Positionen sind vertauscht. Sie führen immer noch einen Korb bzw. einen Wanderstab mit sich. (F): Hansel und Grethel. (BM): Hansel und Grethels Hände. (P): Augenhöhe. |
(T): „Die Kinder gehen hinein, und die Alte tractiert sie mit Nüssen und Aepfeln, Milch und Reißbrei. Dann ge=hen sie ermüdet zu Bette.“
(B): Martin und Ilse sitzen an einem Tisch und speisen. Die Hexe (sie trägt nun einen roten Überrock und ein gelbes Halstuch) bewirtet sie. (F): Hexe. (BM): Tisch. (P): Augenhöhe. |
(T): Es stellt sich heraus, dass es sich bei der alten Frau um eine Hexe handelt, die Kinder tötet, kocht und verzehrt. Sie sperrt Hänsel in einen kleinen Stall und Grethel muss ihren Bruder bekochen. Jeden Morgen fühlt die Hexe Hänsels Finger, der streckt jedoch einen Knochen heraus. Vier Wochen später soll der Junge verspeist werden. Die Hexe heizt ihren Ofen an, Grethel soll hineinkriechen und nach dem Feuer zu sehen. Mit einer List gelingt es Grethel, die Hexe in den Ofen zu sperren und zu verbrennen.
(B): Hänsel befindet sich im Stall des Hexenhauses und muss mit ansehen, wie Grethel die Hexe in den Ofen schubst. Vor dem Stall befindet sich ein Baumstumpf, darauf liegt ein Beil. Der Ofen steht geöffnet rechts neben dem Haus, und Grethel schubst die Hexe hinein. Über der Ofenöffnung hängt eine Fledermaus. An einem Baum lehnt ein riesiger Spatula. (F): Grethel. (BM): Ofentür. (P): Augenhöhe. |
Indmeth. | Von Gegenstand zu Gegenstand. | Von Gegenstand zu Gegenstand. | Von Szene zu Szene. |
Panel 6 | (T): „Da sahen sie ein Haus aus Pfefferkuchen, Thüren und Fenster waren von Marzipan. Voll Freuden gingen sie dorthin.“
(B): Hansel und Grethel gehen durch den Wald – Korb und Wanderstab sind verschwunden – und strecken ihre Arme nach vorne. (F): Hansel und Grethel. (BM): Wald. (P): Augenhöhe. |
(T): „Aber die Alte war ein böses Weib, die die Kinder auf=fraß. Sie riß auch den armen Martin früh aus dem Bette und sperrte ihn in einen Stall mit einem eisernen Gitter.“
(B): Martin kniet flehend vor seinem Bett, die Hexe zeigt nun ihr wahres Gesicht. Ihre Physiognomie änderte sich, das Gesicht wirkt animalischer. Sie trägt nun einen gelben Überrock und eine rote Jacke. (F): Hexe. (BM): Bett. (P): Augenhöhe. |
(T): Grethel befreit ihren Bruder und gemeinsam stiehlt man die Schätze der Hexe.
Die Geschwister wollen heimkehren, gelangen an ein „großes Wasser“ ohne Steg oder Brücke und werden von einer Ente zum anderen Ufer gebracht. Sie sehen des Vaters Haus und kehren heim. Die Mutter war indes verstorben und man lebte glücklich dahin.
(B): Wieder daheim: Vater und Kinder fallen sich in die Arme. Die Einrichtung des Elternhauses fällt karg aus. Eine Bank, ein Tisch, darauf ein Krug und eine Schale. Ein Besen sowie eine Ofenbank sind zu erkennen. (F): Vater und Kinder. (BM): Vater und Kinder. (P): Augenhöhe. |
Indmeth. | Von Gegenstand zu Gegenstand. | Von Gegenstand zu Gegenstand. | |
Panel 7 | (T): „Da hörten sie plötzlich eine Stimme rufen: ‚Wer knabbert an meinem Häuschen?‘“
(B): Hansel und Grethel essen Teile des Pfefferkuchenhauses. Hansel steht mit dem Rücken zum Rezipienten gerichtet. (F): Hansel und Grethel. (BM): Pfefferkuchenhaus. (P): Augenhöhe. |
(T): „Dann weckte sie Ilsen und sprach: ‚Steh‘ auf, mach Feuer an und bereite gutes Essen! Dann füttre deinen Bru=der, damit er recht fett wird; dann will ich ihn schlachten.“
(B):Das Gesicht der Hexe nimmt seine ursprüngliche Form an. Ihr Überrock ist nun grün, ihre Jacke gelb. Ilse sitzt in ihrem Bett. (F): Ilse. (BM): Bett / Ilse, sitzend im Bett. (P): Augenhöhe. |
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Indmeth. | Von Gegenstand zu Gegenstand. | Von Szene zu Szene. | |
Panel 8 | (T): „Aus dem Hause kam eine Alte. Hansel und Grethel wollten davon laufen, die Alte jedoch rief sie herein.“
(B): Hansel hält Grethel am Arm, Grethel befindet sich in nachdenklicher Pose. Die Hexe steht in der Tür des Hauses, sie trägt ein Kopftuch, eine rote Jacke, einen weißen Überrock sowie ein blaues Kleid. (F): Grethel. (BM): Grethel. (P):Augenhöhe. |
(T): „Aber Martin wurde vor Gram immer magerer, drum wollte die Alte Ilsen zuerst auffressen. Sie heizt den Back=ofen, um Ilsen hinein zu schieben.“
(B): Die Hexe schafft Holz herbei (ihre Jacke ist nun erneut rot); links im Bild ist ein Steinofen, rechts im Bild ist Buschwerk zu erkennen. (F): Hexe (BM): Feuerholz, Hexe. (P): Augenhöhe. |
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Indmeth. | Von Handlung zu Handlung. | Von Gegenstand zu Gegenstand. | |
Panel 9 | (T): „Die Kinder ließen sich auch durch Freundlichkeit verleiten, in das Haus einzutreten.“
(B): Hansel und Grethel sind im Begriff, das Pfefferkuchenhaus zu betreten. Sie halten sich an der Hand. (F): Hansel und Grethel. (BM): Hansel und Grethel. (P): Augenhöhe. |
(T): „Diese stellt sich aber dumm an und sagt, die Alte möchte es ihr nur erst vormachen. Diese setzt sich nun auf den Schieber, Ilse schiebt sie hinein und sie muß umkommen.“
(B): Ilse schiebt die Hexe (ihr Halstuch ist nun rot, ihre Jacke gelb) mittels eines Brotschiebers / Spatulas in den Ofen. (F): Spatula / Schieber (BM): Ofen. (P): Augenhöhe. |
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Indmeth. | Von Gegenstand zu Gegenstand. | Von Gegenstand zu Gegenstand. | |
Panel 10 | (T): „Sie erzählten nun der Alten, daß sie sich verirrt hätten und baten sie, ihnen den Weg zu zeigen.“
(B): Hansel und Grethel befinden sich im Pfefferkuchenhaus. Mit erhobenem Zeigefinger spricht die Hexe zu den Kindern. Hansel faltet die Hände vor der Brust und Grethel verschränkt die Arme hinter dem Rücken, ihr Kopf ist gesenkt. (F): Hand der Hexe. (BM): Hansel. (P): Augenhöhe. |
(T): „Darauf holt Ilse den Schlüssel zur Gitterthür und läßt ihren lieben Bruder heraus. Nun dankten die am=men [sic!] Kinder Gott für ihre Rettung.“
(B): Ilse öffnet das Gatter des Stalls und läuft ihrem Bruder entgegen. Beide strecken ihre Arme aus. (F): Martin. (BM): Stall. (P): Augenhöhe. |
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Indmeth. | Von Gegenstand zu Gegenstand. | Von Gegenstand zu Gegenstand. | |
Panel 11 | (T): Die Alte aber gab ihnen zu essen und zu trinken, und wollte ihnen andern Tags den Weg zeigen.“
(B): Hansel und Grethel speisen am Esstisch des Pfefferkuchenhauses. (F): Hansel und Grethel. (BM): Hansel und Grethel. (P): Augenhöhe. |
(T): „Nun durchsuchten sie das Häuschen und fanden ein Zimmer mit den köstlichen Sachen, Perlen und Edelstei=nen. Diese nehmen sie mit und gehen zu ihren Eltern zurück.“
(B): Martin kniet vor einer Schatztruhe, Ilse steht links im Bild. Ketten liegen auf dem Boden. (F): Ilse. (BM): Schatztruhe. (P): Augenhöhe. |
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Indmeth. | Von Gegenstand zu Gegenstand. | Von Szene zu Szene. | |
Panel 12 | (T): „Jene war aber eine Hexe; anderen Tags sperrte sie Hansel in einen Stall.“
(B): Hansel Hansel steht weinend im Stall. Das aus Holzlatten bestehende Tor ist verschlossen. Die Hexe steht vor dem Tor und umfasst eine der Holzlatten. (F): Hexe. (BM): Stallmauer. (P): Augenhöhe. |
(T): „Ach, wie freuten sich die Eltern, als sie ihre Kinder wie=dersahen. Sie hatten nun so viel Geld, daß sie sich ein schönes Haus kaufen und alle Tage prächtig essen konnten.“
(B): Martin geht, Ilse stürmt auf ihre Eltern zu. Der Vater sitzt links im Bild auf einem Stuhl, die Mutter steht neben ihm. (F): Martin und Ilse. (BM): Ilse. (P): Augenhöhe. |
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Indmeth. | Von Gegenstand zu Gegenstand. | ||
Panel 13 | (T): „Grethel befiehlt sie, ihren Bruder gut zu füttern, da sie ihn schlachten und fressen wolle.“
(B): Grethel hält die linke Hand an ihre Stirn und wirkt deutlich verzweifelt, die rechte befindet sich in ihrem Rock verborgen. Die Hexe erteilt ihr Befehle. (F): Grethel. (BM): Tisch. (P): |
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Indmeth. | Von Gegenstand zu Gegenstand. | ||
Panel 14 | (T): „Als Hansel dies gehört, mag er nicht essen, er wird daher immer magerer.“
(B): Hansel steht immer noch im Stall und wirkt traurig. Seine Schwester steht traurig vor dem Tor. (F): Hansel. (BM): Hansel und Grethel. (P): Augenhöhe. |
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Indmeth. | Von Gegenstand zu Gegenstand. | ||
Panel 15 | (T): „Die Alte beschließt daher, Grethel zuerst zu braten und heizt dazu den Backofen.“
(B): Die Hexe heizt ihren Ofen an. Auf einem Baumstumpf liegt ein Beil. (F): Hexe. (BM): Hexe. (P): Augenhöhe. |
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Indmeth. | Von Handlung zu Handlung. | ||
Panel 16 | (T): Als sie sich überzeugen wollte, ob der Ofen heiß genug ist, stieß Grethel sie hinein, daß sie elend verbrannte.“
(B): Grethel schubst die Hexe in den Ofen. (F): Grethel. (BM): Grethel. (P): Augenhöhe. |
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Indmeth. | Von Gegenstand zu Gegenstand. | ||
Panel 17 | (T): „Darauf befreite Grethel ihren Bruder und beide dankten Gott für ihre glückliche Rettung.“
(B): Hansel und Grethel falten die hände zum Gebet. Grethel kniet, Hansel steht aufrecht. (F): Hansel und Grethel. (BM): Hansel und Grethel. (P): Augenhöhe. |
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Indmeth. | Von Gegenstand zu Gegenstand. | ||
Panel 18 | (T): „Hansel und Grethel durchsuchten nun das Haus und fanden darin großen Reichtum vor.“
(B): Hansel und Grethel stehen in der Schatzkammer des Pfefferkuchenhauses; Grethels Arme sind angewinkelt, ihre Hände gefaltet. Hansel hält eine Schatzkiste in den Händen. (F):Grethel. (BM): Schatzkiste. (P): Augenhöhe. |
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Indmeth. | Von Gegenstand zu Gegenstand. | ||
Panel 19 | (T): „Sie nahmen, soviel sie davon unter=bringen konnten, und kamen glücklich damit zu ihren Eltern.“
(B): Kinder und Eltern sind wiedervereint. (F): Vater. (BM): Tisch. (P): Augenhöhe. |
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Indmeth. | Von Gesichtspunkt zu Gesichtspunkt. | ||
Panel 20 | (T): „Von den Schätzen der Kinder kaufte nun der Vater ein Gut und alle lebten glücklich und zufrieden.“
(B): Ein Gutshaus im Wald. (F): Gutshaus. (BM): Gutshaus. (P): Augenhöhe / Establishing Shot. |
Der Deutsche Bilderbogen Nr. 53, Hänsel und Grethel (nach Grimm). reduziert das Märchen auf sechs Panels. Zu sehen sind der Weg in den Wald (Panel 1), die Feuerstelle, an der Hänsel und Grethel von ihren Eltern zurückgelassen werden (Panel 2), die erste Rückkehr der Kinder (Panel 3), die Ankunft am Hexenhaus (Panel 4), die Tötung der Hexe durch Grethel (Panel 5) sowie die Wiedervereinigung mit dem Vater (Panel 6). Anders der Neuruppiner Bilderbogen Nr. 8656 (Oehmigke & Riemschneider) mit dem Titel Hansel und Grethel. verwendet zwanzig, der Kühnsche Bogen Nr. 1136 mit dem Titel Lehrreiche Geschichte von Martin und Ilse, oder das Pfefferkuchenhaus. zwölf Panels.
Eine Aufteilung in Grund- und Füllpanels gestaltet sich schwierig, denn abgesehen vom Deutschen Bilderbogen Nr. 53 aus der Feder Theodor Hosemanns wurde die Aussetzung durch die Eltern nicht thematisiert – die Kinder verlaufen sich hier, während sie Nahrung sammeln, um ihre Eltern zu unterstützen. Dennoch werden grundlegend ähnliche Märchenszenen erzählt: Alle drei Bilderbogen berichten von Kindern, die sich verlaufen und an ein Hexenhaus gelangen. Die Hexe wird verbrannt und die Kinder kehren nach Hause zurück. Demnach sind mindestens vier Grundpanels notwendig, um die Geschichte zu illustrieren. Alle drei Bogen, sogar der sehr reduzierte Deutsche Bilderbogen Nr. 53 verwenden mindestens 6 Panels, d. h. auch dieser Bogen wurde mit Füllpanels versehen (Panel 2 und 3).[10]
Anders die Narrationsgruppen. Sie sind drei an der Zahl und werden in der folgenden Tabelle abgebildet (zum genaueren Vergleich der Narrationsgruppen wird zudem der Münchener Bilderbogen Nr. 31, Hansel und Grethel. einbezogen der ebenfalls die Aussetzung durch die Eltern verschweigt).
Grupppe 1: Weg in den Wald | Gruppe 2: Das Hexenhaus | Gruppe 3: Rettung und Heimkehr. | |
Neuruppin Nr. 8656. | Panel 1 – 5 | Panel 6 – 14 | Panel 15 – 20. |
Neuruppin Nr. 1136. | Panel 1 und 2 | Panel 3 – 8 | Panel 9 – 12 |
Deutsche Bilderbogen Nr. 53. | Panel 1 – 3 | Panel 4 | Panel 5 und 6 |
(Münchener Bilderbogen Nr. 31.) | Panel 1 | Panel 2 – 5 | Panel 6 – 8 |
Die Tabelle zeigt eine unterschiedliche Gewichtung verschiedener Ereignisse des Märchens. Es fällt auf, dass der einzige Bogen, der die Eltern als Täter benennt (DBB 53), drei von sechs Panels verwendet, um ihre Motivation zu erklären, während der Münchener Bilderbogen Nr. 31 lediglich kurz beschreibt, dass sich die Kinder im Wald verlaufen. Der Fokus liegt – wie auch im Neuruppiner Bilderbogen Nr. 8656 sowie dem Neuruppiner Bilderbogen Nr. 1163 – auf der Zeit im Hexenhaus und der Errettung durch Grethel / die Heimkehr.
Dass der Fokus auf dem Hexenhaus liegt, kann u. U. an seiner Bedeutung liegen, denn es steht aus psychologischer Sicht in enger Verwandtschaft mit dem Zwergenheim aus Sneewittchen.[11] Eugen Drewermann beschreibt das sogenannte ‚Zwergenheim‘ als Ort der „Anpassungsform an die Welt der Mutter, der Wunsch, unter ihrer Schirmherrschaft […] ein ewiges Mädchen zu bleiben, oder umgekehrt: die erzwungene Preisgabe des Verlangens, jemals erwachsen zu werden.“[12] Während Schneewittchen vor der (Stief-)Mutter und somit dem Erwachsenwerden flieht, begibt sie sich in das Zwergenheim und somit in einen Schutzraum, der an ein Gefängnis erinnert, denn sie muss sich den strengen Regeln der Zwerge völlig unterwerfen, um geduldet und somit in Sicherheit leben zu können.[13] Der Ausbruch gelingt indes erst nach dem vorläufigen Tod und eine einhergehende Transformation der Protagonistin, die mit dem Erwachen und der Heimkehr mit einem Ehemann endet.[14] Hänsel und Grethel werden ebenfalls von der Mutter verstoßen, das Hexenhaus bietet vorerst Sicherheit, Nahrung und eine weibliche Beschützerin – schon bald zeigt sich aber, dass die neue Behausung einem Schreckensort gleichkommt. Die Kinder sind nun den Launen und Gelüsten der Hexe unterworfen, die im Münchener Bilderbogen Nr. 31 (nicht im Korpus) sogar versucht, „Grethel zu verderben“,[15] sie also zu einem Ebenbild von sich selbst zu formen.[16] Als dieses misslingt, soll auch das ungehörige Mädchen verspeist werden.[17] Der Fokus auf dem Verrat der Eltern an ihren Kindern im Deutschen Bilderbogen Nr. 53 (Panel 1 – 3) offenbart zudem ein Reifungsprozess: Während Hänsel sich mehrfach Möglichkeiten ausdenken muss, um sich und seine Schwester vor dem Tod im Wald zu retten, gelangt er in allen Darstellungen bald in Gefangenschaft und kann dem Mädchen nun nicht länger beistehen. Die Rettung vor der Hexe gelingt ihr durch eine List und es ist nun Grethel, die heranreift und für sich und ihren Bruder einsteht (im Münchener Bilderbogen Nr. 31 außerdem der Versuchung widersteht, wie die Hexe zu werden und somit dem Tode zu entkommen)[18]. Wie auch in Schneewittchen beginnt im Exil folglich ein Reifeprozess, der mit der Frauwerdung einhergeht.[19] Es darf nicht übersehen werden, dass nicht nur die Hexe verstirbt, sondern parallel auch die eigene Mutter unter ungeklärten Umständen dahinscheidet. Es finden sich folglich zwei Ebenen: Das Elternhaus – hier hungert man und wird von der Mutter verstoßen – und das Pfefferkuchenhaus, ein vornehmliches Idyll aus Süßigkeiten, das ebenfalls eine niederträchtige Frau beherbergt und zur Todesfalle wird. Mit dem Mord an der Hexe befreit man sich folglich auch von der Mutter und kann, mit den Schätzen der Peinigerin, in die Realität zurückkehren um dort ein sorgenfreies Leben zu verbringen.[20] Die Fixierung der Narrationsgruppen auf Gruppe 2 und 3 hängt folglich mit der Struktur und Bedeutung des Märchens zusammen. Eine Ausnahme bildet der Deutsche Bilderbogen Nr. 53: die Hexenhausszene wird zugunsten der elterlichen Tat zurückgedrängt.
Obschon alle Bogen Narrationsgruppen aufweisen, existieren nur in einem Bogen Panelgruppen im Neuruppiner Bilderbogen Nr. 8656. Einzig Panel 8 und 9 (man betritt das Hexenhaus) sowie 15 und 16 (die Hexe wird in den Ofen geschubst) können als aufeinanderfolgender Bewegungsabläufe interpretiert werden. Anhand der Verbrennungssequenz in Panel 15 und 16 lässt sich somit eine Panelgruppe exemplarisch verdeutlichen. Panel 15 zeigt die Hexe vor dem Ofen, sie legt Holz ins Feuer, während Panel 16 Grethel präsentiert, die ihre Peinigerin von hinten in das Feuer schubst (Von Handlung zu Handlung). Im Vergleich dazu bildet die Verbrennungssequenz des Neuruppiner Bilderbogens Nr. 1136 in Panel 8 und 9 keine Panelgruppe bzw. direkte Bewegungsabfolge, denn die Hexe wird in Panel 9 mittels eines Brotschiebers / Spatulas in den Ofen geschoben, der in Panel 8 nicht im Bild vorkommt (Von Gegenstand zu Gegenstand). Eine weitere Besonderheit des Neuruppiner Bilderbogens Nr. 8656 findet sich im letzten Panel, denn es handelt sich um einen Establishing Shot, der, wie auch in einem der Blaubart Bogen, die Geschichte abschließt und einen Gegenstandübergang verwendet.
Der Neuruppiner Bilderbogen Nr. 1136, Lehrreiche Geschichte von Martin und Ilse, oder das Pfefferkuchenhäuschen, weicht nicht nur in der Verwendung zweier induktiver Handlungsübergänge von den anderen Bogen ab, auch die Protagonisten, Martin und Ilse, unterscheiden sich erheblich von den Kinderdarstellungen der untersuchten Hänsel-und-Grethel-Bogen. Sie sind schlicht keine Kinder mehr, sondern durchliefen bereits die Pubertät, was sich nicht nur durch das Dekolletee Ilsens (Panel 2) verdeutlicht, sondern sich auch in der Wahl der Kleidung widerspiegelt. Anders als der Deutsche Bilderbogen Nr. 53, Hänsel und Grethel (nach Grimm) oder auch der Neuruppiner Bilderbogen Nr. 8656, Hansel und Grethel, trägt der männliche Protagonist lange Beinkleider und keine kindertypischen kurzen Hosen. Zudem sind die Kinder so groß wie die Hexe bzw. ihre Eltern, was den Zeichner des Bogens nicht davon abhält, sie als Kinder zu bezeichnen (vgl. Panel 4, 5, 6, 10). Wie auch im Falle von Aschenputtel ändern sich bisweilen die Farben der Kleider – ihr Schnitt bleibt hier aber identisch. Einzig bei der Hexe ändert sich die Farbe des Überrocks, ihres Halstuchs sowie ihrer Jacke.
Der Neuruppiner Bilderbogen Nr. 8656 aus dem Hause Oehmigke & Riemschneider (Hansel und Grethel) weist zwanzig Panels auf. Jedes von ihnen wurde mit einem Textkasten versehen, der wiederum nahtlos an das darunterliegende Panel anschließt. Das direkt folgende Panel wird mit einem breiten Gutter / Rinnstein abgetrennt, der parallel und ununterbrochen nach unten verläuft, d. h. es sind fünf vertikale Panelreihen vorhanden – die Panelstruktur wird zudem von einer feinen Doppellinie umrahmt. Anders der Deutsche Bilderbogen Nr. 53 mit dem Titel Hänsel und Grethel (nach Grimm). Sechs Panels in zwei vertikalen Reihen begrenzen sich selbst und weisen folglich keinen sichtbaren Rahmen auf. Unter ihnen steht – ebenfalls rahmenlos – ein zweispaltiger und mit einer Linie separierter Begleittext. Der Neuruppiner Bilderbogen Nr. 1136, Lehrreiche Geschichte von Martin und Ilse, oder das Pfefferkuchenhäuschen, aus dem Hause Gustav Kühns, verwendet eine Struktur, die beide Bogen miteinander verbindet. Drei umrahmte Panels in horizontaler, vier in vertikaler Ausrichtung werden mit Hilfe zweier senkrechter Linien voneinander getrennt. Der Text begleitet das Bild ohne Textkasten, eine Linie umrahmt die Panelstruktur.
Alle Bogen werden der westlichen Leserichtung entsprechend gelesen und auch die Blicklenkung entspricht ihr. Der Neuruppiner Bilderbogen Nr. 8656 fällt gedoppelt aus, d. h. es wird illustriert, was der Text beschreibt. Eine Ausnahme bildet die Panel 1. Ein Portrait zeigt die Protagonisten, während der Text Informationen hinzufügt (textlastig). Ähnliche Panels finden sich z. B. auch in Aschenbrödel oder der gläserne Pantoffel – Aschenbrödel fällt jedoch nicht textlastig aus, denn es teilt dem Rezipienten einzig den Namen der Protagonistin mit. Der Deutsche Bilderbogen Nr. 53 fällt textlastig aus, die einzelnen Bilder zeigen nur Ausschnitte der Geschichte, während dem Neuruppiner Bilderbogen Nr. 1136 aus dem Hause Gustav Kühn ebenfalls eine Doppelung zu Grunde liegt. Auf der McCloud-Realismusskala entsprechen die Zeichnungen der Neuruppiner Bilderbogen dem Bereich 65 / 66 sowie 69 bis 71, der Deutsche Bilderbogen Nr. 53 deckt den Bereich 44 bis 51 sowie 60 bis 62 und 82 – 84 ab.
Belege:
[1] Eichler, Ulrike: Lehrreiche Geschichte von Martin und Ilse. In: Märchen Sagen und Abenteuergeschichten auf alten Bilderbogen neu erzählt von Autoren unserer Zeit. S. 109.
Lehrreiche Geschichte von Martin und Ilse ist eine Alternativversion von Hänsel und Grethel, die sich z. B. in Johann Andreas Christian Löhrs Das Buch der Mährchen von 1819/20 findet. (Vgl. Löhr, Johann Andreas Christian: Das Buch der Mährchen. Leipzig 1819/20.) Eine weitere Fassung stammt von Johann Heinrich Lehnert. (Vgl. Lehnert, Johann Heinrich: Mährchenkranz für Kinder. Der erheiternden Unterhaltung besonders im Familienkreise geweiht. Berlin 1829.)
[2] Ebd. S. 109.
[3] Zu ihnen gehört etwa der Münchener Bilderbogen Nr. 31, Hansel und Grethel., von Ignaz Stölzle (1849), der sich u. a. in der Sammlung des Germanischen Nationalmuseums befindet.
Im Gegensatz zu den untersuchten Bogen wurden die einzelnen Bilder mit römischen Ziffern versehen und demnach nicht durgehend der Leserichtung entsprechend rezipiert (sie wäre I, II, III, IV, VI, V, VII, VI, VIII). Auf bildlicher Ebene unterscheidet sich der Bogen vor allem durch eine mehrfach auftretende, schwarze Katze, die in keinem der untersuchten Bilderbogen vorkommt. Das Hexenhaus besteht nicht aus Pfeffer- bzw. Lebkuchen sondern aus Stein und die Hexe zeigt niederträchtige Züge. Auch eine rabiate Darstellungsweise lässt sich ausmachen. Hansels Gefängnis etwa erinnert an einen mittelalterlichen Büßerkäfig und ist dementsprechend kaum größer als Hansel selbst. Zudem wurde die Hexenverbrennung explizit bebildert: Sie verbrennt nicht hinter verschlossenen Ofentüren, sondern direkt im Bild.
Anzumerken sei darüber hinaus, dass die Geschichte deutlich von den Kinder- und Hausmärchen abweicht. Hansel und Grethel verirren sich im Wald (Panel 1), finden die Hütte der Hexe und klopfen an. Nach anfänglicher Furcht lassen sie sich vom freundlichen Wesen der Hexe ins Haus locken (Panel 2) und erst am nächsten Tag wird Hansel zum Mästen in einen Käfig gesperrt (Panel 3). Grethel indes muss längere Zeit schwere Arbeit verrichten (Panel 4). Eines Tages soll der inzwischen fette Hansel gegessen werden; Grethel verweigert der Hexe den Gehorsam (Panel 5), was zum vergeblichen Versuch führt, das Mädchen zu verderben. Als die Hexe nun das ungehörige Kind verbrennen will, fängt sie selbst Feuer und stirbt (Panel 6). Grethel befreit ihren Bruder (Panel 7), sie stehlen den Besitz der Peinigerin, erklimmen eine Anhöhe und erspähen ihre Heimat. (Vgl. Hansel und Grethel. Münchener Bilderbogen Nr. 31. und: Stölzle, Ignaz: Hansel und Grethel. Münchener Bilderbogen Nr. 31. und: http://www.bildindex.de/document/obj00120198/mi08043f04/?part=0 [konsultiert am 27.07.2017].)
[4] Neuruppiner Bilderbogen Nr. 8656, Oehmigke & Riemschneider: Hansel und Grethel.
[5] Vgl. Ebd.
[6] Vgl. Neuruppiner Bilderbogen Nr. 1136, Gustav Kühn Nr. 1136: Lehrreiche Geschichte von Martin und Ilse, oder das Pfefferkuchenhäuschen.
[7] Vgl. Deutsche Bildebogen für Jung und Alt Nr. 53: Hänsel und Grethel (nach Grimm).
[8] Zur Symbolik der Mutter und der Hexe siehe auch: Bettelheim, Bruno: Kinder brauchen Märchen. S. 183 – 191.
[9] Grimm, Jacob und Wilhelm: Hänsel und Grethel. In: Kinder- und Hausmärchen. Band 1. S. 105.
[10] Der Neuruppiner Bilderbogen Nr. 8656 (Korpus 8) verwendet 16 Füllpanels (Panel 1, 2, 4, 5, 7, 8, 9, 10, 11, 12, 13, 14, 15, 17, 18, 20), im Neuruppiner Bilderbogen Nr. 1136 (Korpus 23) sind es 8 (Panel 1, 4, 5, 6, 7, 8, 10, 11).
[11] Vgl. Grimm, Jacob und Wilhelm: Sneewittchen. In: Kinder- und Hausmärchen. Band 1. S. 269 – 278.
[12] Drewermann, Eugen: Schneewittchen. Grimms Märchen tiefenpsychologisch gedeutet. Zürich u. Düsseldorf 1997. S. 53.
[13] Vgl. Ebd. S. 53 f..
[14] Vgl. Grimm, Jacob und Wilhelm: Sneewittchen. In: Kinder- und Hausmärchen. Band 1. S. 269 – 278.
[15] Münchener Bilderbogen Nr. 31. Panel VI.
[16] Bruno Bettelheim verweist in Kinder brauchen Märchen auf die Doppelung der Mutter in der Hexe:
„Weibliche Figuren – die Stiefmutter und die Hexe – sind in dieser Geschichte die feindlichen Mächte. Die wichtige Rolle, die Grethel bei der Befreiung der Kinder spielt, beruhigt das Kind, daß ein weibliches Wesen ebensogut Retter wie Zerstörer sein kann. Vermutlich noch wichtiger ist die Tatsache, daß einmal Hänsel der Retter ist und das andere Mal Grethel, was den Kindern zeigt, daß sie, sobald sie größer werden, immer mehr auf ihre Altersgenossen vertrauen müssen, wenn sie Hilfe und Verständnis nötig haben.“ (Bettelheim, Bruno: Kinder brauchen Märchen. S. 189.)
[17] Vgl. Münchener Bilderbogen Nr. 31. Panel VI.
[18] Vgl. Münchener Bilderbogen Nr. 31. Panel VI.
[19] Vgl. hierzu: „Auch das unterstreiche das Hauptanliegen dieses Märchens, das auf eine Warnung vor der Regression und auf den Ansporn hinausläuft, zu einer höheren Ebene des psychologischen und intellektuellen Seins heranzuwachsen.“ (Bettelheim, Bruno: Kinder brauchen Märchen. S. 189.)
[20] In diesem Zusammenhang darf nicht übersehen werden, dass in Grimms Märchen nach der Heimkehr der Kinder die Mutter unter mysteriösen Umständen ums Leben kam, was in fast allen Ausgaben der Kinder- und Hausmärchen lediglich in einem Nebensatz angedeutet wird: „die Frau aber war gestorben.“ (Grimm, Jacob und Wilhelm: Hänsel und Gretel. In: Kinder- und Hausmärchen. Band 1. S. 108), „die Mutter aber war gestorben“ (Grimm, Jacob und Wilhelm: Das Brüderchen vnd das Schwesterchen. In: Kinder- und Hausmärchen. Die handschriftliche Urfassung von 1810. S. 27.) und – der einzige Hauptsatz – „Die Mutter aber war gestorben.“ [Grimm, Jacob und Wilheln: Kinder- und Hausmärchen (1812–15). S. 47.]. Somit liegt die Vermutung nahe, dass mit der Verbrennung der Hexe, dem Akt der Emanzipation der Kinder und insbesondere Grethel, auch die Mutter starb, die, wie sich am Vergleich zu Sneewittchen zeigte, ein Gleichnis der Mutter verkörpert. Eine Ausnahme findet sich in Ludwig Bechsteins Märchenversion, denn hier stirbt die Mutter nicht:
„Der alte Holzhauer und seine Frau saßen traurig und still in dem engen Stüblein und hatten großen Kummer um die Kinder, bereuten auch viele Tausendmal, daß sie dieselben fortgelassen, und seufzten: ‚Ach, wenn doch der Hänsel und die Grethel nur noch ein allereinzigesmal wieder kämen, ach, da wollten wir sie nimmermehr wieder allein im Walde lassen‘ – da ging gerade die Thüre auf, ohne daß erst angeklopft worden wäre, und Hänsel und Grethel traten leibhaftig herein! Das war eine Freude! Und als nun vollends erst die kostbaren Perlen und Edelsteine zum Vorschein kamen, welche die Kinder mitbrachten, da war Freude in allen Ecken und all Noth und Sorge hatte fortan ein Ende.“ (Bechstein, Ludwig: Deutsches Märchenbuch. Herausgegeben von Ludwig Bechstein. Leipzig 1847. S. 60.)