Wilhelm Buschs Die feindlichen Nachbarn, oder: Die Folgen der Musik (Münchener Bilderbogen Nr. 443) erzählt von einer suboptimalen Wohnsituation und dokumentiert den Streit zweier Hausbewohner in zwölf Bildern. Zwei Nachbarn (der Wohnort wird nicht näher benannt) wohnen Wand an Wand, einer arbeitet als Maler, ein anderer als Musiker. Während der Musiker auf einem Saiteninstrument mit – Form und Größe deuten es an – hohem Bassanteil spielt (Cello oder Contrabass), seine Musik folglich Wände zu durchdringen vermag,[1] sucht der Maler in der Stille nach Inspiration. Von Panel zu Panel eskaliert die Situation; schlussendlich sind sowohl das Gemälde als auch das Instrument zerstört.
Busch legt die Panels so an, dass der Rezipient in acht Bildern beide Wohnungen parallel einsehen kann. Wie im Theater (oder auch Film, vgl. z. B. die Frosta-Werbung von 1996[2] oder die Telefonszenen in Harry und Sally[3]) werden die Wohnräume durch eine Zwischenwand getrennt. Diese Trennung schafft neben dem weißen Raum zwischen den Panels (Rinnstein / Gutter) eine erneute, im Gegensatz zum Rinnstein sichtbare und in der Bildrealität vorhandene, räumliche Trennung. Ähnlich wird Alexandre Clerisse knapp 150 Jahre später in der Graphic Novel Ein diabolischer Sommer verfahren, während dort der Grundriss des Hauses noch stärker im Zentrum des Panels steht und im weiteren Verlauf des Comics die Möglichkeiten des Metapanels ausreizt – ein Ansatz, der bei Busch nicht vorkommt.[4] Bei der von Busch (und auch Clerisse) vorgenommenen Trennung eines Panels in zwei Hälften handelt es sich jedoch nicht um Comicspezifika, denn die weiße Wand und der Rinnstein / das Gutter dürfen nicht miteinander gleichgesetzt werden. Dem Rinnstein, der als Trennung der Panels fungiert, kommt eine andere Funktion zu. Um dies zu verdeutlichen, muss die Kommunikation zwischen Panel und Rinnstein genauer betrachtet werden.
Das Panel beschreibt nach Scott McCloud den Ausschnitt der tatsächlichen (fiktiven) Welt und zeigt gleichzeitig an, dass es, trotz des begrenzt sichtbaren Bereichs, eine Welt außerhalb des Panels geben muss, die dem Rezipienten jedoch verborgen bleibt.[5] Demnach zeigt uns Busch, wenn er den Ausschnitt zweier Wohnungen zeichnet, einen Ausschnitt des Lebensraums der abgebildeten Personen. Wir wissen nicht, wie groß die Wohnung tatsächlich ausfällt, alles was wir über sie erfahren, wird durch den Bildinhalt – auch den der späteren Bilder – vermittelt und durch die Vorstellungskraft erweitert. Den weißen Raum zwischen den einzelnen Wohnungen darf man folglich nicht mit dem Übergang zwischen den Panels gleichsetzen, denn er zeigt lediglich an, dass es sich bei dem gezeigten Panelinhalt um zwei verschiedene Räumlichkeiten handelt. Während der Rinnstein zwischen den Panels Induktion hervorruft, trennt die weiße Wand zwei Räume voneinander. Hier findet weder Handlung noch Bewegung statt, man könnte die Wand als toten Raum bezeichnen. Busch zu unterstellen, bei der Trennung beider Räume handele es sich um ein comictypisches Raster, wäre demnach falsch, denn ein solches findet sich in diesem Bilderbogen nicht.[6] Deutliche Panels in Form eines Rasters werden nicht verwendet, vielmehr verblassen die Wohnungen dort, wo sonst eine klare Abgrenzung zu erwarten wäre. Erst im neunten Panel ändert sich diese Darstellungsweise, denn die abgebildeten Kontrahenten befinden sich indes in der Wohnung des Malers; nur ein Zimmer wird dargestellt und der Panelrahmen umschließt nun drei Seiten des Raumes. Während die verblassten Ränder der geteilten Räume mittels Induktion andeuten sollen, dass die Räume hier nicht zu Ende sind, sondern nur einen Teil offenbaren, zeigt Busch ab Panel 7 („Er kommt von Rachedurst durchdrungen, / Ins Atelier hereingesprungen;“) den kompletten Raum des Malers.
Wie aber müssen die Übergänge zwischen den realen Panels interpretiert werden? Sobald ein Panel mehrere voneinander getrennte Räume präsentiert, entsteht die Möglichkeit verschiedener zeitlicher und lokaler Abläufe. Der Rezipient muss, wenn er den weißen Raum hinter sich gelassen hat, zwei Bilder miteinander vergleichen und die Unterschiede in eine logische Abfolge einbetten. Zwei Induktionsmethoden (die Anzahl der Induktionsmethoden entspricht immer der Anzahl dargestellter Räume) sind demnach zu erheben, um den jeweiligen Panelübergang bestimmen zu können: Von Panel zu Panel und von Rauminhalt zu Rauminhalt.
Analysetabelle anzeigen …Münchener Bilderbogen Nr. 443: Die feindlichen Nachbarn, oder: Die Folgen der Musik. | ||
Panel 1 | Text (T): „Ein Maler und ein Musikus, / So Wand an Wand, das gibt Verdruß.“
Verhältnis der Räume (VR): 3/8 zu 5/8 |
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Bild (B): Ein Musiker sitzt vorgebeugt mit einem Saiteninstrument vor einem Notenständer und musiziert.
Fokus (F): Musiker. Bildmittelpunkt (BM): Musiker. Perspektive (P): Augenhöhe. |
Bild (B): Ein Maler sitzt vor einer Leinwand und malt. Er dreht sich zur Wand, hinter der sich der Musiker befindet. Hinter der Staffelei sitzt ein Hund. Ein Bett ist zu erkennen.
Fokus (F): Maler. Bildmittelpunkt (BM): Pinsel. Perspektive (P): Augenhöhe. |
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Indmeth. | Von Handlung zu Handlung | Von Handlung zu Handlung |
Panel 2 |
T: „Besonders wird das Saitenspiel / Dem Nebenmenschen oft zuviel.“ VR: 3/8 zu 5/8 |
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B: Der Musiker sitzt nun senkrecht und musiziert noch immer.
F: Musiker. BM: Arm am Instrument. P: Augenhöhe. |
B: Der Maler raucht Pfeife. Sein Hund kriecht unter das Bett. Auf dem Boden steht ein geöffneter Koffer mit Malerutensilien.
F: Maler. BM: Gemälde. P: Augenhöhe. |
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Indmeth. | Von Handlung zu Handlung | Von Handlung zu Handlung |
Panel 3 |
T: „Schon hat der Maler, sehr verdrossen, / Sich seine Ohren zugeschlossen“ VR: 4/9 zu 5/9 |
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B: Der Musiker musiziert wieder vorgebeugt.
F: Musiker. BM: Schulter des Musikers. P: Augenhöhe. |
B: Der rauchende Maler und sein Hund stehen am Fenster.
F: Maler. BM: Maler. P: Augenhöhe. |
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Indmeth. | Von Handlung zu Handlung | Von Gegenstand zu Gegenstand |
Panel 4 |
T: „Doch so ein Flageolett / Dringt durch. – Der Maler kriecht ins Bett. –“ VR: 3/8 zu 5/8 |
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B: Der Musiker musiziert vorgebeugt.
F: Musiker. BM: Hand des Musikers auf dem Griffbrett des Instruments. P: Augenhöhe. |
B: Der Maler und sein Hund verstecken sich unter der Bettdecke, während Ersterer noch raucht.
F: Maler. BM: Hund. P: Augenhöhe. |
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Indmeth. | Von Gegenstand zu Gegenstand | Von Gegenstand zu Gegenstand |
Panel 5 |
T: „– Jetzt kommt vermittelst einer Pfeife / Des Malers Racheplan zur Reife.“ VR: 1/2 zu 1/2 |
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B: Der Musiker liegt auf seinem Sofa und raucht eine Zigarette. Sein Instrument wurde an einen Tisch gelehnt. Das Mundstück der Pfeife ragt aus der Wand; Wasser läuft auf das Instrument.
F: Musiker. BM: Kopf des Musikers. P: Augenhöhe. |
B: Der Maler steht am offenen Fenster und hält den Pfeifenkopf an eine Regenrinne. Die Pfeife wurde durch die Wand gesteckt und dient als Verlängerungsrohr, um das Regenwasser in die Nachbarswohnung fließen zu lassen.
F: Maler. BM: Maler. P: Augenhöhe. |
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Indmeth. | Von Handlung zu Handlung | Von Handlung zu Handlung |
Panel 6 |
T: „Das Wasser rinnt ins Instrument; / Der Musikus schreit: Zapperment!“ VR: 1/2 zu 1/2 |
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B: Der Musiker steht erschrocken auf seinem Sofa und begutachtet den Wasserschaden.
F: Musiker. BM: Rechte Hand des Musikers. P: Augenhöhe. |
B: Die Konstruktion des Malers befindet sich weiterhin im Bild. Er horcht an der Wand. Erstmals seit Panel 1 sieht man wieder sein Gesicht.
F: Maler. BM: Fenster. P: Augenhöhe. |
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Indmeth. | Von Gegenstand zu Gegenstand | Von Handlung zu Handlung |
Panel 7 |
T: „Er kommt, von Rachedurst durchdrungen, / Ins Atelier hereingesprungen;“ VR: 1/5 zu 4/5 |
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B: Das Instrument lehnt am Tisch und wird immer noch bewässert. Eine Saite ist gerissen.
F: Instrument. BM: Instrument. P: Augenhöhe. |
B: Die Konstruktion des Malers befindet sich weiterhin im Bild. Er sitzt vor seiner Staffelei und malt, sein Hund hockt erschrocken auf dem Bett. Der Musiker betritt die Wohnung.
F: Musiker. BM: Leinwand. P: Augenhöhe. |
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Indmeth. | Von Augenblick zu Augenblick | Von Handlung zu Handlung |
Panel 8 |
T: „Und packt – ritsch, ratsch! – mit kühner Hand / Den Maler durch die Leinewand.“ VR: 1/8 zu 7/8 |
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B: Das Instrument wurde nun gänzlich zerstört.
F: Instrument. BM: Saiten des Instruments. P: Augenhöhe. |
B: Die Konstruktion des Musikers befindet sich weiterhin im Bild. Die Malerutensilien stehen nun hinter ihm, die Aufschrift einer Flasche („Siccatif“) ist zu erkennen. Der Musiker greift nach seinem Gegenspieler, indem er die Leinwand zerstört (die Staffelei fällt um, während der Musiker durch das Bild greift und es so auf seiner Position hält. Der Hund springt vom Bett.
F: Leinwand. BM: Musiker (Weste). P: Augenhöhe. |
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Indmeth. | Von Handlung zu Handlung | |
Panel 9 | T: „Nun geht es los! – Der Pudel naht, / Und mischt sich in das Attentat.“
B: Der Maler wurde unter seinem Bild begraben. Während er versucht, seinen Angreifer mit einem Pinsel abzuwehren, prügelt dieser weiter auf den Maler ein. Der Hund beißt den Musiker in den Hintern und zerreißt dessen Hose. F: Musiker. BM: Linkes Bein des Musikers. P: Augenhöhe. |
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Indmeth. | Von Handlung zu Handlung | |
Panel 10 | T: „Der Musikus kämpft unverdrossen / Und wird mit Sikkativ begossen. –“
B: Es wird weitergekämpft. Der Maler übernimmt die Führung und übergießt den Musiker mit Sikkatif (während im Text „Sikkativ“ zu lesen ist, steht auf der Flasche „Siccativ“). Der Hund läuft zur Tür – in seinem Maul befindet sich ein Stück Hose. F: Sikkatif. BM: Kopf des Musikers. P: Augenhöhe. |
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Indmeth. | Von Handlung zu Handlung | |
Panel 11 | T: Am Ende läßt man ab vom Streite; / Der Pudel freut sich seiner Beute.“
B: Der Musiker verlässt die Wohnung, der Maler lugt verzaust aus dem Bild heraus, seine Fäuste sind in der Luft. Der Hund zerstört weiter sein Stück Stoff. F: Maler. BM: Maler. P: Augenhöhe. |
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Indmeth. | Von Gegenstand zu Gegenstand | Von Handlung zu Handlung |
Panel 12 | T: „Verruiniert stehn beide da. – / Das tatest Du, Frau Musika!“
VR: 4/9 zu 5/9 |
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B: Der Musiker begutachtet zerzaust das zerstörte Instrument.
F: Musiker. BM: Rücklehne des Sofas.. P: Augenhöhe. |
B: Der Maler begutachtet verdutzt das zerstörte Bild. Der Hund hockt neben ihm. Die Pfeife wurde zerbrochen und hängt noch zur Hälfte in der Wand.
F: Gesicht des Malers. BM: Gesicht des Malers / Loch im Bild. P: Augenhöhe. |
Es zeigt sich, dass sich die Induktionsmethoden in den zweifach belegten Panels oft gleichen, wie die Übergänge (1) → (2), (2) → (3), (4) → (5) und (5) → (6) verdeutlichen. Busch macht von diesem Phänomen in seinen Bilderbogen nur viermal Gebrauch – der Bogen Nr. 549, Die Folgen der Kraft, zeigt u. a. vier Bilder, in denn ähnlich verfahren wird. Die Trennung erfolgt jedoch nicht vertikal, sondern horizontal.[7]
Erzählt wird die Geschichte des Turners Hoppenstedt, der aufgrund seiner Trainingseinheiten die Decke zu seinen Nachbarn durchbricht und sie beim Kaffetrinken stört.[8] Für die vier relevanten Panels ergeben sich folgende Ergebnisse:
Analysetabelle anzeigen …Münchener Bilderbogen Nr. 549: Die Folgen der Kraft. | ||
Turner Hoppenstedt | Familie Meck | |
Panel 7 |
Text (T): „Derweil sitzt unten beim Kaffe / Herr Meck und deutet in die Höh‘.“ Verhältnis der Räume (VR): ca. 4/9 zu 5/9 |
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Bild (B): Hoppenstedt turnt auf allen Vieren. Neben ihm stehen Gewichte u. dgl. mehr.
Fokus (F): Hoppenstedt (Gesäß). Bildmittelpunkt (BM): Hoppenstedt (Gesäß). Perspektive (P): Augenhöhe. |
Bild (B): Familie Meck sitzt am Tisch und trinkt Kaffee. Ihr Hund hockt vor dem Tisch.
Fokus (F): Tisch. Bildmittelpunkt (BM): Kaffekanne. Perspektive (P): Augenhöhe. |
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Indmeth. | Von Handlung zu Handlung | Von Handlung zu Handlung |
Panel 8 |
T: „Es wächst die Kraft. – Doch unten hier / Liest Vater Meck in dem Courier.“ VR: ca. 4/9 zu 5/9 |
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B: Hoppenstedt balanciert ein Gewicht auf dem Kopf, eins hält er mit den Zähnen fest, ein weiteres trägt er und er hält einen Stuhl in die Höhe.
F: Hoppenstedt. BM: Hoppenstedts Oberkörper. P: Augenhöhe. |
B: Familie Meck trinkt immer noch, Frau Meck hält die Kaffetasse in der Hand und Herr Meck liest Zeitung. Der Hund macht Männchen.
F: Tisch. BM: Kaffekanne. P: Augenhöhe. |
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Indmeth. | Von Handlung zu Handlung | Von Handlung zu Handlung |
Panel 9 |
T: „Und kracks! – zu groß wird das Gewicht; / Die Decke trägt es nicht – und – bricht.“ VR: ca. 1/3 zu 2/3 |
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B: Die Gewichte, der Stuhl und Hoppenstedt durchbrechen die Decke.
F: Stuhl. BM: Hoppenstedts Hände. P: Augenhöhe. |
B: Familie Meck geht in Deckung und versucht dem Unglück auszuweichen. Der Hund hastet davon.
F: Familie Meck. BM: Kaffekanne (Dampf). P: Augenhöhe. |
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Indmeth. | Von Handlung zu Handlung | Von Handlung zu Handlung |
Panel 10 |
T: „Und Hoppenstedt, wie er sich stemme, Saust schon in Topf und Butterbemme.“ VR: ca. 2/9 zu 7/9 |
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B: Der Stuhl sowie einige Bretter lugen hervor.
F: Stuhl. BM: Stuhlbeine. P: Augenhöhe. |
B: Hoppenstedt landetet mit den Füßen zuerst auf dem Tisch der Mecks und zerstört dabei Geschirr. Familie Meck wird zu Boden gerissen. Der Hund läuft davon.
F: Hoppenstedt. BM: Hoppenstedts (Linkes Bein). P: Augenhöhe. |
Stärker noch als in Die feindlichen Nachbarn, oder: Die Folgen der Musik gleichen sich die Induktionsmethoden der doppelbelegten Panels, was auf identische zeitliche Abläufe hinweist. Dennoch erlaubt sich Busch einen perspektivischen Scherz, der wiederum die Temporalität beeinflusst: Anstatt die Decke immer in gleicher Höhe zu positionieren, wechselt sie mit fortschreitendem Handlungsverlauf ihre Höhe, während sich auch ihre Perspektive (die Sichtbarkeit der Bodendielen) ändert. Der untere Raum wird hiervon nicht beeinflusst, was sich an der gleichbleibenden Perspektive des Fußbodens verdeutlicht. In Panel 1 erscheint der Raum so niedrig zu sein, dass Familie Meck kaum stehen kann, erst in Panel 3 ändert sich dieses Verhältnis. Zeit in Comics wird oftmals auch durch die Breite der einzelnen Panels bestimmt, die Höhe scheint – zumindest in diesem Fall – keinen Einfluss zu haben und so bleibt Buschs kleine Episode ein bemerkenswerter Sonderfall.[9]
In beiden Bogen spielt Busch mit den Verhältnissen zwischen den Räumen. Die Trennwand / Decke verschiebt sich langsam und offenbart mehr bzw. weniger Einblick in die jeweils handlungsrelevanteren Panelabschnitte. Besonders in Die feindlichen Nachbarn, oder: Die Folgen der Musik wird so Einfluss auf den Panelinhalt genommen, während Die Folgen der Kraft einzig die Größenverhältnisse korrigiert. Beide Bogen verwenden konstant die Perspektive Auf Augenhöhe. Auch der Ort ändert sich nicht: jedes Panel zeigt den jeweils handlungsrelevanten Ort / die handlungsrelevanten Orte. Größere Unterschiede sind bei der Fokussierung auszumachen. Während in Die feindlichen Nachbarn meist die Künstler bzw. ihre Kunstgegenstände fokussiert werden und Mittelpunkt des Bildes sind, variieren Fokus und Bildmittelpunkt in Die Folgen der Kraft: In Hoppenstedts Panelbereich sind Fokus und Bildmittelpunkt in den ersten beiden Panels identisch und weichen erst in Panel 9 und 10 ab. Im Bereich der Familie Meck verhält es sich ähnlich. Panel 7 und 8 fokussieren den Tisch und der Bildmittelpunkt liegt auf der Kaffekanne, Panel 9 und 10 rücken langsam Hoppenstedt in den Fokus / Bildmittelpunkt.
Weiterhin zeigt sich, dass Die feindlichen Nachbar, oder: Die Folgen der Musik aus folgenden Narrationsgruppen besteht:
Gruppe 1 | Gruppe 2 | Gruppe 3 | Gruppe 4 | Gruppe 5 | |
Ausgangssituation | Links: Ausgangssituation / Rechts: Rache | Links leeres Zimmer / Rechts: Angriff. | Kampf. | Ernüchterung | |
Die feindlichen Nachbarn, oder: Die Folgen der Musik | Panel Links 1 – 4, Panel Rechts 1 – 3. | Panel Links 5 – 6, Panel Rechts 4. | Panel Links 7, Panel Rechts 5 – 6. | Panel Rechts + Gesamt 7 – 11. | Panel (Links und Rechts) 12. |
Auch Panelgruppen sind vorhanden:
Gruppe 1 | Gruppe 2 | Gruppe 3 | Gruppe4 | |
Die feindlichen Nachbarn, oder: Die Folgen der Musik | Panel Links und Rechts 1 – 4. | Panel Links und Rechts 5 – 6. | Panel Links 7 – 8. | Panel Rechts 7 – 10. |
Der Bilderbogen verwendet die westliche Leserichtung; Der Blick orientiert sich an ihr, wird jedoch durch die bereits genannte Aufteilung der Panels in Teilbereich gelenkt. Der kleinere Teilbereich erscheint dem Rezipienten unwichtiger und zeigt überdies weniger Bildinhalt. Das Verhältnis von Text und Bild zeigt sich als gedoppelt, d. h. das Bild illustriert den Text. Panel 6 fügt zudem den Ausspruch „Zapperment!“ hinzu, der sich nicht im Bild findet. Auf der McCloud-Realismusskala entspricht der Bogen den Bereichen 37 – 43 sowie 51 bis 57 und tendiert ins Cartoonhafte.
Belege:
[1] Zum Klang in Bild siehe z. B. auch: Bachmann, Christian A. (Hg.): Bildlaute & laute Bilder. Die ‚Audio-Visualität‘ der Bilderzählungen. Berlin 2014.
[2] Vgl. Frosta: http://www.youtube.com/watch?v=r01Bajum_uI [konsultiert am 17.02.2016.]
[3] Vgl. Reiner, Rob: When Harry Met Sally. USA 1989.
[4] Vgl. Smolderen, Thierry und Alexandre Clerisse: Ein diabolischer Sommer. Hamburg 2016. S. 44.
[5] Vgl. McCloud, Scott: Comics richtig lesen. S. 69 ff.
[6] Auch Christian A. Bachmann bespricht den genannten Bogen in Macht der Musik. Musik in Karikatur, Bildergeschichte und Comic 1830–1930, legt den Fokus aber vornehmlich auf den Topos des Musikers, der seinen Nachbarn erheblich stört. Bachmann hebt die Wand als rinnsteinähnliche Panelseparation hervor und benennt ebenfalls ihre Eigenheit, sich den Bedürfnissen des Zeichners anzupassen, um den Raum zu vergrößern oder zu verkleinern, eine Idee, die Buschs Bogen von anderen Karikaturen mit ähnlicher Thematik abhebt.
Bei der Einordnung der Funktion unterläuft Bachmann jedoch der Fehler, die Wand in die Nähe des Gutters / Rinnsteins zu setzen und McClouds Formulierung „Blood in the Gutter“ auf die Regenwasserszene Buschs umzudeuten, denn mit „Blood in the Gutter“ verweist McCloud nicht etwa auf in der Bildrealität vorhandenes Blut, sondern auf Induktion, die den Leser z. B. einen Mord erahnen lässt, der dezidiert nicht abgebildet, sondern nur durch zwei Panels – Axthieb / Schrei – angedeutet wird:
Hier in der Grauzone des Rinnsteins, greift sich die menschliche Fantasie zwei separate Bilder und verwandelt sie zu einem Gedanken. Zwischen den beiden Panels ist nichts zu sehen, aber unsere Erfahrung sagt uns, dass dort etwas sein muss. […] Bei jedem Schritt, den der Zeichner zu Papier bringt, hat er einen stummen Spießgesellen, der ihm hilft und ihn unterstützt. Einen nicht minder schuldigen Komplizen, bekannt als der Leser. Sicher, ich habe in diesem Beispiel eine erhobene Axt gezeichnet, aber ich habe den Hieb nicht ausgeführt oder entschieden, wie hart er war oder wer geschrien hat und warum. Das, liebe Leser, war ganz allein euer Verbrechen, und jeder von euch hat es auf seine Art begangen.
(McCloud, Scott: Comics richtig lesen. S. 74 – 71.)
Weiterhin bestätigt sich zwar die Annahme, dass auf den ersten Blick typologische Ähnlichkeiten zwischen dem Rinnstein und der Trennwand nach Busch bestehen, die vorliegende Analyse zeigt indes, dass die Trennwand lediglich zur Vergrößerung / Verkleinerung des jeweiligen Bildabschnitts dient, ihr jedoch keine temporalen Aufgaben zukommen, wie man sie etwa bei Rodolphe Töpffer findet (Vgl. hierzu: Töpffer, Rodolphe: Komische Bildromane. Erster u. Zweiter Band. Leipzig o. J..)
Bachmann benennt darüber hinaus weitere Beispiele, die mit in der Bildrealität vorhandenen Trennwänden arbeiten, die sich bis ins 15. Jahrhundert zurückführen lassen. Unter ihnen finden sich etwa Ebenezer Landells The Pleasures of Folding Doors (1842), Emil Reinickes Iberus (1885), Sydney B. Griffins Symphoniker und Philharmoniker (1889), Hans Schließmanns Der Klavierstimmer und der nervöse Dichter (1891) oder James Albert Wales Das musikalische Boarding-Haus (1886) – die letzten beiden Beispiele verwenden eine horizontale Trennwand wie in Buschs Die Folgen der Kraft. (Soweit nicht anders gekennzeichnet: Bachmann, Christian A.: Macht der Musik. Musik in Karikatur, Bildergeschichte und Comic 1830–1930. Berlin 2017. S. 86 – 105.).
[7] In Die Verwandlung (Münchener Bilderbogen Nr. 474 – nicht im Korpus vorhanden) – ebenfalls von Busch – finden sich drei weitere Panels, in denen eine räumliche Trennung vollzogen wurde. Der Aufbau unterscheidet sich dennoch zu den bisher benannten Bogen, denn die trennende Wand ist deutlich als solche zu erkennen und kann nicht mit einem Rinnstein verwechselt werden. Die Verwandlung präsentiert indes ein weiteres Phänomen: Panel 5 bis 7 zeigt die titelgebende Verwandlung des Protagonisten in ein Schwein und verwendet die Induktionsmethode Von Augenblick zu Augenblick.
[8] Eine ähnliche Situation, jedoch durch die Explosion eines uranhaltigen Spielzeugs ausgelöst, findet sich in Loriots Weihnachten bei Hoppenstedt. Vgl. Loriot: Loriot 14. Weihnachten bei Hoppenstedts. ARD 1997.
[9] Antoine Sausverd verweist auf vier weitere Darstellungen ähnlicher Machart. Eine Turnübung und ihre Folgen von Henry Albrecht, aus Fliegende Blätter (Vol. 111, Nr. 2833) von 1899 zeigt zwei Panel (mit der Beschriftung I und II versehen. Die Panels nehmen in der Breite die Hälfte der Seite ein und erstrecken sich über ihre ganze Höhe. Zu erkennen sind fünf Stockwerke mit verschiedenen Personen (zwei Wäscherinnen, eine Familie, die Suppe isst, ein Paar am Klavier, einen Maler und im obersten Stock den Turner). Während das erste Panel die Ausgangssituation schildert, sieht man im zweiten Panel die Folgen der Kraftübung: eine Gewicht fällt durch die Stockwerke und zerstört das Gemälde, das Piano, Suppe und Tisch sowie den Bottich der Wäscherinnen.
Auch Luc Leguey verwendet ähnliche Darstellungsformen. Les suites d’un bavardage chez la concierge ou Un incendie qui s‘éteint lui-même aus La Jeunesse illustrée vom 13. August 1905 präsentiert gleich vier mit Text versehene Panels, von denen jedes die Höhe der Seite einnimmt und vier Zimmer zeigt (zwei ‚Klatschtanten‘, ein Raucher in seinem Sessel, eine schlafender Mann, eine Küche ohne Personen). Eine Hausmeisterin zündet ihre Lampe an und tratscht mit einer Magd, die Zeitung des Rauchers gerät in Flammen, es folgend die Pantoffeln des schlafenden Mannes und der Wasserhahn der Küche gerät in Brand, worauf das herauslaufende Wasser das Feuer löscht.
The Penetrating Qualities of a Drop of Acid, von Georges Carlson von 1913 präsentiert einen Querschnitt innerhalb eines Panels. Zu sehen sind ein Keller, ein Restaurant, eine Schneiderei, zwei Damen beim Tee, einen Musikanten sowie ein Wissenschaftler, der unter der Dachschräge wohnt. Ihm entgleitet ein Tropfen Säure, die sich durch die Böden frisst und letztendlich in den Boden eindringt.
1855 zeigt CK (vermutlich Charles Keene) in How Mr. Popplewit enjoyed a day’s rook shotting – Part II aus dem Punch Magazin, wie ein unachtsam ausgelöster Schuss im Untergeschoss, sich durch drei weitere Etagen seinen Weg in den Körper einer Katze bahnt, die auf dem Dach sitzt und dabei mehrere Wohnungen verwüstet.
Überdies findet sich im Verlag Round Not Square ein aktuelles Beispiel ähnlicher Machart. Das Hochhaus, die Bildrollenumsetzung eines Webcomics von Katharina Greve bildet ein Hochhaus mit einer Länge von sieben Metern ab, welches sich ebenfalls im Querschnitt präsentiert und in der Tradition dieser Darstellungen steht. (Vgl. Greve, Katharina: Das Hochhaus. Bildrolle. Berlin 2017. Und: Greve, Katharina: Das Hochhaus. Webcomic. https://www.das-hochhaus.de/ [konsultiert am 24.09.2018].)
Vgl. Sausverd, Antoine: Trajectoires. http://www.topfferiana.fr/2015/12/trajectoires/ [konsultiert am 06.06.2018].