Ein alter Müller will sich zur Ruhe setzen und stellt seinen drei Söhnen eine Aufgabe: Wer von ihnen das beste Pferd nach Hause bringt, soll seinen Besitz erben. Die drei Söhne begeben sich auf Wanderschaft, doch schon bald wird der jüngste, Hans, von seinen Brüdern verlassen. Zu albern sei er und er habe das Erbe nicht verdient. Während man in einer Höhle nächtigt, verlassen die Brüder ihren unliebsamen Verwandten. Betrübt über den Betrug irrt Hans im Wald umher, wo er auf eine Katze trifft, die ihm einen Handel unterbreitet: Diene er ihr sieben Jahre lang, so wolle sie ihm das schönste Pferd schenken, das er je gesehen habe. Der Junge nimmt das Angebot an und folgt seiner neuen Herrin zu ihrem Haus. Hier leben noch weitere Katzen, die den Burschen liebevoll umsorgen, doch muss auch er seinen Teil des Handels erfüllen und hackt Holz, mäht Gras und baut ein Häuschen aus silbernen Balken. Nach sieben Jahren wird der Junge aus seiner Knechtschaft entlassen und die Katze verspricht ihm, in drei Tagen ein Pferd zu bringen. Wieder bei seinen Verwandten angekommen, wird Hans ob seiner scheinbaren Erfolglosigkeit verhöhnt. Sein neuer Platz ist nun der Gänsestall. Am dritten Tag jedoch erscheint eine Kutsche mit prächtigen Rossen, in ihr wartet zudem eine Königstochter auf den gedemütigten Sohn. Sie, so erfährt der Leser, sei die Katze, der Hans all die Jahre diente. Das versprochene Pferd schenkt Hans dem Müller, die Königstochter hingegen nimmt er zur Frau.
Das umfangreiche Märchen der Gebrüder Grimm (KHM 106) wurde hier auf wenige Absätze zusammengefasst. Zwar hält sich der Text recht genau an die Vorlage, doch lassen sich auch einige Unterschiede bestimmen. Anstatt einer gewöhnlichen Katze handelt es sich um ein buntes Kätzchen, der Müller darf vor seiner Abreise die Ställe betrachten und auch die Katze selbst erweist sich als deutlich emanzipierter als ihr Bilderbogenpendant. In ihrer finalen Form als jungfräuliche Prinzessin schenkt sie dem alten Bauern das Pferd und befiehlt Hans (der im Gegensatz zu seinen Brüder nicht als Knecht, sondern Kleinknecht arbeitet und aus diesem Grund zuvor verlassen wurde), ihr zu folgen. Das Haus, das er einst baute, entpuppt sich als Schloss und war über und über mit Silber und Gold gefüllt. Die Hochzeit fußt hier eindeutig auf die Initiative der emanzipierten Prinzessin.[1]
Die Bildstruktur des Münchener Bilderbogens gestaltet sich außergewöhnlich. Der Text steht noch sehr traditionell am äußeren rechten Rand, das Metapanel (Typ 2) wurde von ihm abgesetzt (linker Teil des Bogens). Innerhalb des Subpanels zeigen sich Strukturprobleme im Aufbau, denn die Blickführung entspricht eher Typ 1. Sie folgt keinem gewöhnlichen Lesefluss – weder verläuft sie von links nach rechts, noch von oben nach unten – selbst die Möglichkeit des kreisenden Verlaufs wurde hier nicht verwendet. Stattdessen muss der Leser die einzelnen Textstellen innerhalb des Bogens suchen, denn eine Nummerierung wurde nicht vorgenommen. Nun ergeben sich darüber hinaus zwei mögliche Lesarten, die sich an der Interpretation des Subpanels / Bildabschnitts 14 / M1 verdeutlichen. Nehmen wir an, es handelt sich hier nur um einen Teilabschnitt des Bildes (man ignoriere die blauen Hervorhebungen), so wird der Bogen wie folgt gelesen: Das erste Subpanel des Bogens findet sich ungefähr in der Mitte des Blattes (1). Hier ziehen die Söhne des Müllers in die Welt hinaus. Subpanel 2 zeigt den jüngsten Sohn vor seinem Nachtquartier, er wurde bereits von seinen Brüdern verlassen und spricht mit dem Kätzchen. Direkt neben dem Bildabschnitt stehen weitere Szenen: Er speist mit dem Kätzchen (3), schläft (4), wird von den Katzen gewaschen (5) und er hackt Holz / schneidet Gras / baut ein Haus (6 / 7 / 8). Auf der gegenüberliegenden Seite des Bogens (rechts) sieht man nun seine Brüder heimkehren (9). Direkt unter dieser Szene findet sich der bereits heimgekehrte jüngste Sohn im Stall (10). An dieser Stelle wird der Bildaufbau noch komplexer, denn nun befinden sich die finalen Szenen auf dem Vorhof des Katzenschlosses, der jedoch – wie Abschnitt 13 beweist – eigentlich der Hof des Müllers oder eine perspektivisch zu kurz geratene Straße ist. In dieser Ansammlung von verschiedenen Szenenabschnitten zeigt sich, dass die Pferde der anderen Söhne körperlich beeinträchtigt sind (11). Die Katzen / Königstochter trifft in ihrer Kutsche ein (12) und verlässt abschließend den Hof des Müllers (13).
Wie bereits angedeutet, sorgt nun Abschnitt 13 für die logische Restrukturierung des Bildes. So scheint der vorherige Bildabschnitt tatsächlich einer Straße zu entsprechen, die der Zeichner suboptimal abbildete. Wird (14) nun als weiterer Teilabschnitt interpretiert, so steht er isoliert im Bild und ergibt keinen Sinn. Er würde eine Handlung präsentieren, die in weiter Ferne stattfindet und keinen Einfluss auf das Bild ausübt – bzw. nicht Teil des Märchens wäre. Wird dieser Teil des Bildes jedoch als elementarer Teil des Bildes gewertet, handelt es sich um eine Zusammenfassung des gesamten Bogens. Betrachtet man den Abschnitt genauer, ist im rechten Teil des Bildes ein Mühlengebäude zu sehen, es folgen mehrere Reiter, die eine Brücke überqueren und im linken Teil befindet sich ein Schloss. Der Bogen teilt sich neben den roten Hervorhebungen noch in die Abschnitte M1 und M2 auf. M1 zeigt den Handlungsort: Mühle, Land und Schloss. M2 wäre demnach eine Vergrößerung dieses Bereichs. Der Leser folgt nun den Bildstationen 1 bis 13. Diese Lesemöglichkeit verleiht dem Bogen eine logischere Struktur. Dennoch handelt es sich bei Der arme Müllerbursche und das Kätzchen. um ein äußerst unstrukturiertes Bild. Eine Blicklenkung findet nicht statt und erschwert den Rezeptionsvorgang. Das Verhältnis zwischen Bild und Text ist überschnitten, „Ein Teil der Information wird von Bild und Text gemeinsam übermittelt, andere Teile jeweils von einem allein“.[2]
Panelgruppen sind hier nicht bestimmbar. Narrationsgruppen finden sich in folgenden Bereichen: Gruppe 1 (Subpanel 1) beschreibt die Einleitung des Märchens, Gruppe 2 (Subpanel 2 bis 8) schildert die Erlebnisse des Müllersburschen in der Welt der Katzen, Gruppe 3 (Subpanel 9 bis 11) umfasst die Heimkehr der Brüder und Gruppe 4 (Subpanel 12 und 13) berichten vom Triumpf des Burschen.
Verwendet werden folgende Induktionsmethoden: (1) → (2) Von Szene zu Szene, (2) → (3) Von Szene zu Szene, (3) → (4) Von Gegenstand zu Gegenstand, (4) → (5) Von Gegenstand zu Gegenstand, (5) → (6) Von Szene zu Szene, (6) → (7) Von Gegenstand zu Gegenstand, (7) → (8) Von Gegenstand zu Gegenstand, (8) → (9) Von Szene zu Szene, (9) → (10) Von Szene zu Szene, (10) → (11) Von Szene zu Szene, (11) → (12) Von Gegenstand zu Gegenstand, (12) → (13) Von Gegenstand zu Gegenstand, (13) → (14) Von Szene zu Szene.
Den Bildmittelpunkt nimmt der Turm des Schlosses ein, der Fokus hingegen liegt auf dem Müllerburschen und dem Kätzchen, die sich auf einem Balkon neben dem Turm befinden. Die Perspektive entspricht in den Hauptpanelbereichen M1 und M2 dem Establishing Shot, die vierzehn Subpanels verwenden die Vogelperspektive; auf der McCloud-Realismusskala belegt der Bogen den Bereich 81 – 85, 60 – 64 sowie 69 – 70.
Belege:
[1] Vgl. Grimm, Jacob und Wilhelm: Der arme Müllerbursche und das Kätzchen. In: Jacob und Wilhelm Grimm: Kinder- und Hausmärchen. Gesamtausgabe mit den Originalanmerkungen der Brüder Grimm. Mit einem Anhang sämtlicher, nicht in allen Auflagen veröffentlichter Märchen und Herkunftsnachweisen herausgegeben von Heinz Rölleke. Band 2. S. 102 – 105.
[2] McCloud, Scott: Comics machen. S. 130.