Nicht nur Füchse können listig sein, wie ein verschlagener Hase in Wie der Hase den Fuchs prellt eindrucksvoll beweist. Der langohrige Pelzträger wandert in einer winterlichen Landschaft mit einem Fuchs umher; man hungert und sieht plötzlich ein Bauernmädchen herannahen. Eine perfekte Gelegenheit, um das Mädchen auszurauben! Da auch das Mädchen friert, stellt sich der Hase tot und hofft, sein Opfer anzulocken, denn ein Hasenfell spendet im Winter Wärme. Sobald sich das Mädchen annähert, will man die Situation ausnutzen und ihm den Korb mit den Semmeln stehlen. Der Coup gelingt, doch der Fuchs will die Beute nicht mit dem Hasen teilen. An einem See angekommen gelingt es dem Hasen, seinen Begleiter mittels einer List zu überrumpeln. Er solle seinen Schwanz in das eisige Wasser halten, um Fische zu fangen. Dann könne man wie die feine Gesellschaft speisen. Der Fuchs befolgt den Rat seines Kumpanen, der Schwanz friert ein und der Fuchs muss mit ansehen, wie der Hase, seinen Kompagnon verhöhnend, die Semmeln verzehrt.
Wie der Hase den Fuchs prellt stammt aus der Märchensammlung Ludwig Bechstein’s Märchenbuch und trägt dort den Titel Der Hase und der Fuchs.[1] Der ungekürzte Text Bechsteins wurde in zwei Bereiche, die sich links und rechts in der Bildmitte befinden, positioniert. Ihre Form gleicht einer Schriftrolle, sie heben sich demnach deutlich vom Bild ab. Der Titel der Geschichte findet sich über dem Bild – es handelt sich ebenfalls um eine Schriftrolle, deren Form allerdings kunstvoller ausfällt und auf einer Baumspitze thront. Das Bild wird nicht durch eine Panelstruktur unterteilt, die Rezeption erfolgt von links nach rechts und entspricht somit der westlichen Leserichtung; das Text-Bild-Verhältnis verhält sich gedoppelt, was dazu führt, dass Text und Bild sich gleichen und keine weiteren Informationen hinzugefügt werden.
In der oberen linken Hälfte befindet sich eine winterliche Landschaft. Fuchs und Hase folgen einem Weg, der zu einem Dorf führt (Subpanel 1). In der Bildmitte sieht man einen übergroßen Baum, der das Bild in zwei Hälften separiert. Auf der rechten Bildseite sind Fuchs und Hasen zu sehen, die das Mädchen berauben (Subpanel 2). Nun laufen die beiden Protagonisten einen Abhang hinunter, der Baum bleibt weiterhin Teil des Bildes (Subpanel 3 und 4), sie sitzen am See (Subpanel 5) und der Schwanz des Fuchses gefriert im Eisloch (Subpanel 6). Die Bildaufteilung gestaltet sich besonders kunstvoll: Wie bereits erwähnt wird das Bild nur durch einen Baum sowie Felsen unterteilt. Darüber hinaus wird hier lediglich ein Schauplatz abgebildet, der jede Bildstation umrahmt. Es handelt sich um einen Berg, auf dessen Spitze sich ein Dorf befindet und in dessen Tal der See mündet. Die verwendeten Induktionsmethoden lauten: (1) → (2) Von Gegenstand zu Gegenstand, (2) → (3) Von Gegenstand zu Gegenstand, (3) → (4) Von Gegenstand zu Gegenstand, (4) → (5) Von Gegenstand zu Gegensand (5) → (6) Von Gegenstand zu Gegenstand, (6) → (7) Von Gegenstand zu Gegenstand. Der Bildmittelpunkt zeigt den Fuchs, der einen Korb trägt (Subpanel 4), der Fokus variiert während der Bildrezeption, weist aber immer das tierische Paar auf. Auf der McCloud-Realismusskala befindet sich der Bogen im Bereich 81 – 85. Als Perspektive wurde im Hauptpanel der Establishing Shot verwendet, die sechs Subpanels befinden sich Auf Augenhöhe.
Panelgruppen finden sich nicht, Narrationsgruppen indes sind vorhanden. Gruppe 1 umfasst den Subpanelbereich 1 bis 2 (Raub), Gruppe 2 den Bereich 3 bis 4 (Wanderung der Tiere) und Gruppe 3 beschließt den Bogen im Subpanelbereich 5 und 6 (der Hase überlistet den Fuchs).
Abseits von Hase und Fuchs treten weitere anthropomorphe Gestalten auf: Eine Krähe mit Notizbuch und Schreibfeder etwa – oder ein belebter Baumstumpf. Neben den anthropomorphen Gestalten finden sich andere Wesen, die definitiv Tiere sind und denen keinerlei Vermenschlichung widerfuhr (zwei Eichhörnchen, zwei weitere Krähen, Fische). Besonders interessant erweist sich in diesem Zusammenhang die Anthropomorphisierung der Tier- und Pflanzenwelt. Wie auch bei anderen Comics, z. B. Micky Maus, scheinen zwei (bzw. im Bilderbogen drei) verschiedene Welten nebeneinander zu existieren. Der Mensch nimmt alle Tiere und Pflanzen so wahr, wie sie sind, d. h. sie haben für ihn keine menschliche Gedankenwelt und werden nicht als gleichwertige Wesen betrachtet. Doch auch die Tiere und Pflanzen unter sich differenzieren zwischen Lebewesen mit menschlichem und tierischem Geist – bzw. lebendigen und toten Objekten. Eichhörnchen weisen beispielsweise keinerlei menschliche Eigenschaften auf, während eine der Krähen (in bzw. unterhalb des Subpanels 4) die Szenerie in Subpanel 6 deutlich zu beobachten scheint und – dank Notizbuch – den Eindruck erweckt, sie würde einen Bericht verfassen – vielleicht sogar den abgedruckten Text. Wie auch in Micky-Maus und Donald-Duck-Heften könnte es also vorkommen, dass Enten eine Ente / Gans verspeisen oder Mäuse Angst vor selbigen hätten.[2] Belebte Gegenstände wie der Baumstumpf blicken indes auf eine lange Tradition zurück und gehören zum Volksglauben, wie er z. B. von Heinrich Heine in Die Harzreise beobachtet wurde[3] oder sich auch in den Märchen der Brüder Grimm findet.[4]
Belege:
[1] Bechstein, Ludwig: Der Hase und der Fuchs. In: Ludwig Bechstein: Ludwig Bechstein’s Märchenbuch. Mit 68 Holzschnitten nach Originalzeichnungen von Ludwig Richter. Leipzig 1855. S. 165.
[2] Die Gleichsetzung anthropomorpher Tiere mit Tieren im Disney-Universum steht stellvertretend für alle vermenschlichten Lebewesen. Wenn z. B. Donald Duck in Erlebnisse einer Weihnachtsgans von Carl Barks [Vgl. Barks, Carl: Erlebnisse einer Weihnachtsgans. In: Donald von Carl Barks (=Entenhausen-Edition 37).] zusammen mit seiner Freundin Daisy Duck und seinen Neffen eine Gans verspeist, obwohl in seiner Familie auf Seiten der Großmutter väterlicherseits, Dorette Erpel, auch einige Gänse und Wasserhühner seinen Stammbaum teilen (Franz, Gangolf, Gunhilda und Gustav Gans sowie die Wasserhühner Willibald und Wilberta [Vgl. Rosa Rosa, Don: Onkel Dagobert. Sein Leben, seine Milliarden. Die Biografie von Don Rosa. Köln 2011. S. 212 – 13.]), handelt es sich nicht um Kannibalismus. Don Rosa, Zeichner der Dagobert-Duck-Biografie Sein Leben, seine Milliarden wertet die Bewohner Entenhausens nicht als Enten, Mäuse, Gänse etc., sondern als Menschen:
Gustav Gans ist aber ebenso wenig eine Gans, wie Donald eine Ente ist. Beide sind für mich Menschen. Lassen Sie es mich anders ausdrücken: Ich habe mal darüber nachgedacht, wie es wäre, wenn Donald mit Tick, Trick und Track in eine lebensbedrohliche Situation geriete und sich nur mit Hilfe einer Feder retten könnte. [.] Also in meiner Geschichte könnte er sich jedenfalls nicht einfach eine Feder am Bürzel ausreißen. Weil ein menschliches Wesen keine Federn hat. Insofern dürfte er auch in meiner Geschichte ganz herzhaft in einen gebratenen Truthahn- oder Gänseschenkel beißen.
[Interview mit Don Rosa von: Scholz, Martin: Donald Duck. Wenn Enten Gänse essen. http://www.fr.de/panorama/donald-duck-wenn-enten-gaense-essen-a-958879 (konsultiert am 01.12.2017).]
Folgt man dem einflussreichsten Donald Duck Autor der Gegenwart, Don Rosa, zeigt sich eine Wahrnehmungsverschiebung des Rezipienten, der Tiere im antropomorphen Kontext nicht als solche interpretiert, sondern sie vermenschlicht. Antropomorphe Tiere scheinen in sequenziellen Erzählungen demnach ein Platzhalter für menschliche Projektionen zu verkörpern. Einen ähnlichen Effekt beobachtet McCloud im Bezug auf abstrakte Darstellungen von Comicfiguren:
Wenn wir ein Bild zum Cartoon stilisieren, heißt das nicht nur, dass vor Einzelheiten weglassen, sondern vor allem, dass wir uns auf bestimmte Details konzentrieren. Durch die Reduktion eines Bildes auf seine wesentliche ‚Information‘ kann der Zeichner diese Information in einer Weise hervorheben, wie es der naturalistischen Kunst nicht möglich ist. […] Ein anderer wichtiger Punkt ist, dass die Sprache des Cartoons universell ist. Man könnte sagen, je cartoonhafter ein Gesicht ist, desto mehr Menschen stellt es dar.
(Vgl. McCloud, Scott: Comics richtig lesen. S. 38 – 39.)
Tiere in Fabeln (zu denen im weiteren Sinne auch Donald Duck gezählt werden darf) – spiegeln seit jeher das Verhalten der Menschen, wie Klaus Doderer erläutert: „Der Deutsche […] verhüllt im Tiergewand die Wahrheit in die verworrene, scheinheilige Welt zu bringen, wie der Franzose, der Russe, der Chinese oder Inder.“ (Doderer, Klaus: Fabeln. Formen Figuren Lehren. Zürich u. Freiburg im Breisgau 1970. S. 8.) Folglich müssen auch im Bilderbogen antropomorphe und normale Tiere separiert werden. Erstere zählen zu den Menschen (bzw. erweitern ihre Definition), letztere stellen das Tier an sich dar.
[3] Vgl. Heine, Heinrich: Die Harzreise. In: Ders. Reisebilder. Mit einem Nachwort von Joseph A. Kruse und zeitgenössischen Illustrationen. Frankfurt am Main 1980. S. 33 f..
[4] Vgl. z. B. Grimm, Jacob und Wilhelm: Strohhalm, Kohle und Bohne. In: Jacob und Wilhelm Grimm: Kinder- und Hausmärchen. Gesamtausgabe mit den Originalanmerkungen der Brüder Grimm. Mit einem Anhang sämtlicher, nicht in allen Auflagen veröffentlichter Märchen und Herkunftsnachweisen herausgegeben von Heinz Rölleke. Band 1. Stuttgart 2001. S. 117 – 119.